Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Herrn Wells. Wenn du dich beschweren möchtest, Sir, mußt du dich an Herrn Wells wenden. Aber anders kommst du in diesen Laborkomplex nicht hinein. Bedaure sehr, General.«
»Und wenn ich mich nicht durchsuchen lasse?«
»Dann mußt du entweder hier warten, oder wenn du gewalttätig wirst, lassen wir dich hinausführen … Sir. Bei allem Respekt, ich glaube nicht, daß du dich mit unsern Sicherheitskräften anlegen willst.« Tanabe deutete beiläufig auf zwei überaus bullige Männer neben dem Eingang, die das Gespräch mit einem gewissen professionellen Interesse verfolgten. Daß ihre Massigkeit zum Teil von den gummierten elektrokatalytischen Körperpanzern unter ihren legeren Anzügen kam, tat dem Effekt keinen Abbruch. »Offen gestanden, General, haben wir hier bei TMX mindestens ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte, die früher unter deinem Kommando gedient haben. Du würdest die Qualität deiner Arbeit wiedererkennen.«
Yacoubian blickte finster, aber gab sich dann einen sichtlichen Ruck. »Ich hoffe, du hast deinen Spaß dran. Mach zu.«
Tanabe rief die Wächter mit einer kurzen Kopfbewegung herbei. Während sie den General rasch und gründlich überprüften, stand Wells’ Assistent mit verschränkten Armen daneben. »Von Spaß kann keine Rede sein, Sir. Ich habe meinen Job, genau wie deine Männer ihren haben.«
»Ja, aber ich kann meine Männer erschießen lassen.«
Tanabe lächelte abermals. »Vielleicht macht dir mein Boß dieses Jahr ein unerwartetes Weihnachtsgeschenk, General.«
Einer der Wächter zog Yacoubian sein goldenes Zigarrenetui aus der Tasche. »Dies nicht, Sir. Es sei denn, du willst eine halbe Stunde warten, bis wir das Etui und seinen Inhalt überprüft haben.«
»Mein Gott, hat der alte Spinner sogar Angst davor, daß eine unangezündete Zigarre mit ihm in einem Zimmer sein könnte?«
Tanabe nahm das Zigarrenetui entgegen. »Du hast die Wahl, General.«
Yacoubian zuckte mit den Achseln. »Liebe Güte. Okay, kleiner Mann, du hast gewonnen. Bring mich rein.«
Wells wartete leicht amüsiert ab, bis Yacoubian fertig geflucht hatte. »Tut mir leid, Daniel. Wenn ich gewußt hätte, daß du dich so aufregst, wäre ich gekommen und hätte dich selbst durchsucht.«
»Sehr witzig. Ich rate dir bloß, daß die Sache diesen ganzen Scheißdreck wert ist.« Die Hand des Generals wanderte zu seiner Tasche, fand aber kein Zigarrenetui und zog sich zurück wie ein Tier, das zu früh aus dem Winterschlaf erwacht war. Seine Miene verdüsterte sich noch mehr. »Was kannst du denn schon nach zwei Wochen vorzuzeigen haben? Tu doch nicht so, Bob. Selbst deine Jungs von der pfiffigen Truppe können nicht so schnell sein.«
»Jungs und Mädels, Daniel. Sei doch nicht so vorsintflutlich. Und natürlich haben wir es nicht in zwei Wochen geschafft. Eher in zwei Jahren – aber wir haben in diesen letzten beiden Wochen insgesamt Tausende von Arbeitsstunden reingesteckt, um es fertig zu kriegen.« In der Wand ertönte ein leises Klingen. Wells tippte auf seine Schreibtischplatte, und eine Schublade ging vor ihm auf. Er entnahm ein Pharmapflaster und legte es sich vorsichtig in die Armbeuge. »Nur meine Medizin«, entschuldigte er sich. »Also, wenn du dich beruhigt hast, zeige ich dir, was wir ausgekocht haben.«
Yacoubian stand auf. Er war jetzt ruhiger, aber in seiner Haltung lag eine Angespanntheit, die vorher nicht dagewesen war. »Mit diesem ganzen Theater wolltest du dir einen Jux machen, stimmt’s? Erst das Warten, dann die Durchsuchung, obwohl du genau wußtest, daß es mich stinksauer machen würde.«
Wells spreizte die Hände. Trotz der knotigen Muskeln und der vortretenden Knochen zitterten sie nicht. »Daniel. Du übertreibst.«
Yacoubian hatte blitzschnell den Raum durchquert und sich vor seinem Gastgeber aufgebaut. Seine Nasenspitze berührte beinahe Wells’ Gesicht. Ein locker aufgelegter Finger reichte, und Wells’ Hand, die zum Desktop-Alarm gewandert war, erstarrte in der Bewegung. »Ich laß mich nicht von dir schurigeln … Bob. Vergiß das nie. Unsere Beziehung hat eine lange Geschichte. Man könnte fast sagen, wir wären Freunde. Aber versuch niemals zu erfahren, was für ein Feind ich sein kann.«
Yacoubian setzte plötzlich ein Lächeln auf und trat zurück, so daß Wells nach einer stützenden Stuhllehne greifen mußte. »Also dann. Schauen wir uns dein kleines Spielzeug mal an.«
Der General stand in der Mitte des abgedunkelten Raumes. »Na und? Wo ist es?«
Wells
Weitere Kostenlose Bücher