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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dich darum gebeten habe. Das ist sehr wichtig.«
    Sie war unsicher. Sie hatte Herrn Sellars noch nie so reden gehört. Er klang ängstlich und sorgenvoll, wie ihre Mutter, als Christabel in ihrem alten Haus die Treppe hinuntergefallen war. Sie sah ihm in die gelben Augen, versuchte zu verstehen.
    »Was soll ich denn tun?«
    »Ich werde es dir sagen. Es sind drei Sachen – wie im Märchen, Christabel. Drei Aufgaben, die nur du vollbringen kannst. Aber erst möchte ich dir etwas zeigen.« Herr Sellars drehte sich in seinem Rollstuhl um und langte nach dem Tisch. Er mußte die dicken Blätter einer seiner Pflanzen beiseite schieben, um zu finden, was er suchte. Er hielt es ihr hin. »Sieh mal, was ist das?«
    »Seife.« Sie fragte sich, ob er welche essen würde. Das hatte sie ihn schon einmal machen sehen.
    »So ist es. Es ist sogar eins der Stücke, die du mir mitgebracht hast. Aber es ist noch mehr. Hier, siehst du?« Er drehte die Seife etwas und deutete auf ein Loch an einem Ende. »Jetzt schau her.« Er nahm die Seife in seine beiden zittrigen Hände und zog sie in zwei Teile auseinander, als ob er ein Butterbrot aufklappen würde. Mittendrin in der Seife steckte ein grauer Metallschlüssel. »Ziemlich guter Trick, was? Den habe ich aus einem Gefängnisfilm im Netz.«
    »Wie ist er in die Seife rein gekommen?« fragte sie. »Und wozu?«
    »Ich habe die Seife halbiert und die Form reingeschnitten, die ich haben wollte«, erläuterte Herr Sellars. »Dann habe ich dieses Loch gemacht, siehst du? Und dann die zwei Hälften zusammengetan und heißes Metall reingegossen. Als es abgekühlt war, gab es einen Schlüssel. Und jetzt werde ich dir sagen, wozu er gut ist. Das ist eine der drei Aufgaben, die ich für dich habe, Christabel. Na? Bist du bereit, sie dir anzuhören?«
    Christabel blickte den Schlüssel an, der auf der Seife lag wie auf einer Matratze, so als würde der Schlüssel schlafen, bis sie ihn weckte, wie der Märchenprinz. Sie nickte.
     
    Sie mußte ihr Fahrrad nehmen, weil es ein langer Weg war. Außerdem hatte sie in ihrem Fahrradkorb schwere Sachen zu transportieren.
    Sie mußte bis zum Samstag warten, weil ihre Eltern da zum Footballspiel gingen. Sie war einmal mitgegangen, aber sie hatte so viele Fragen darüber gestellt, was die winzigen Männlein da unten auf dem grünen Feld machten, daß ihr Papi beschlossen hatte, künftig wäre es besser, sie bliebe zuhause.
    An den Footballtagen brachten Mami und Papi sie zu Frau Gullison. An diesem Samstag erzählte Christabel Frau Gullison, sie müßte rasch zu einer Freundin und deren Hund füttern und mit ihm Gassi gehen. Frau Gullison, die im Fernsehen Golf guckte, sagte, sie solle nur gehen, aber gleich wiederkommen und in keine Schubladen von den Eltern der Freundin schauen. Das fand Christabel so komisch, daß sie beinahe laut gelacht hätte.
    Draußen wurde es langsam kalt. Sie wickelte sich ihren Schal fest um den Hals und steckte die wehenden Enden in ihren Mantel, damit sie sich nicht in den Speichen verfingen. Das war ihr einmal passiert, und sie war hingefallen und hatte sich das Knie abgeschürft. Sie strampelte kräftig die Stillwell Lane entlang, dann bog sie ab über die kleine Brücke und fuhr an der Schule vorbei. Herr Diaz, der nette Hausmeister, leerte gerade einen Sack Laub in eine Mülltonne, und fast hätte sie gerufen und gewunken, aber dann fiel ihr ein, daß Herr Sellars ihr eingeschärft hatte, mit niemandem zu reden.
    Sie fuhr genau den Weg, den der alte Mann ihr beschrieben hatte, viele Straßen weit. Nach einer Weile kam sie in einen Teil des Stützpunkts, wo sie noch nie gewesen war und wo eine Gruppe niedriger Schuppen aus huppligem, welligem Metall um eine Grasfläche herum standen, die schon lange nicht mehr gemäht worden war. An die letzte Schuppenreihe schloß sich noch eine Gruppe kastenförmiger Dinger an, die so ähnlich waren wie die Schuppen, aber noch niedriger und aus Beton. Sie schienen halb in der Erde versenkt zu sein. Christabel konnte sich nicht vorstellen, wozu sie gut sein sollten. Wenn es Häuser waren, dann sehr kleine. Sie war froh, daß sie nicht darin wohnen mußte.
    Sie fing auf der Seite, von der sie gekommen war, zu zählen an, wie Herr Sellars es ihr gesagt hatte, eins, zwei, drei, bis sie am achten Betonkasten war. Es war eine Tür darin, und an der Tür war ein Vorhängeschloß, genau wie er gesagt hatte. Christabel schaute sich sicherheitshalber um, daß auch ja niemand sie beobachtete und nur

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