Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
spielten ganz leicht auf den Lehnen seines Thronsessels, und einmal ließ er sich von Dread etwas wiederholen, das schon beim erstenmal völlig klar hätte sein müssen.
»Die Verantwortung für diesen stupiden Programmierer trägst du«, erklärte Osiris, als ihm Celestinos Anruf geschildert worden war. »Triff Maßnahmen, die verhindern, daß er zum schwachen Glied in unserer Kette wird.«
Dread kochte innerlich. Als ob man ihm das sagen müßte! Mit Mühe gelang es ihm, seine Stimme im Zaum zu behalten. »Eine Spezialistin, die ich von früheren Einsätzen her kenne, ist schon unterwegs. Sie wird Celestino überwachen.«
Osiris winkte ab, als ob das alles völlig selbstverständlich wäre. »Es darf nicht mißlingen. Ich habe trotz deiner vielen Entgleisungen großes Vertrauen in dich gesetzt. Es darf nicht mißlingen.«
Trotz seiner brodelnden Erbitterung wurde Dread hellhörig. Der Alte Mann schien besorgt zu sein – wenn nicht wegen dieser Sache, dann wegen einer anderen. »Wann hätte ich dich je enttäuscht, Großvater?«
»Du sollst mich nicht so nennen!« Osiris nahm seine Arme von den Lehnen und kreuzte sie über der Brust. »Ich habe dir mehrfach erklärt, daß ich diese Anrede von einem Diener nicht dulde.«
Dread konnte sich ein wütendes Zischen nur schwer verkneifen. Nein, sollte der alte Dreckskerl doch sagen, was er wollte. Es gab ein längerfristiges Spiel – der Alte Mann hatte es ihm selber beigebracht –, und dies war vielleicht der erste Riß im Abwehrwall seines Gebieters.
»Ich bitte um Verzeihung, o Herr. Alles wird geschehen, wie du es befiehlst.« Er senkte seinen großen schwarzen Kopf, bis seine Schnauze die Steinplatten berührte. »Habe ich etwas Neues getan, das deinen Unmut erregt?« Er überlegte kurz, ob die Stewardeß …? Nein. Ihre Leiche konnte noch nicht einmal gefunden worden sein, und dieses eine Mal hatte er darauf verzichtet, seine Signatur zu hinterlassen – Kunst unter der Knute der Notwendigkeit.
Der Gott von Ober- und Unterägypten neigte den Kopf. Einen Moment lang meinte Dread, tief in den Augen des Alten Mannes die messerscharfe Intelligenz blitzen zu sehen. »Nein«, sagte er schließlich. »Du hast nichts getan. Ich bin vielleicht voreilig in meinem Zorn. Ich habe zur Zeit sehr viel zu tun, und ein Großteil davon ist unangenehmer Natur.«
»Ich fürchte, ich würde deine Probleme wahrscheinlich nicht verstehen, Herr. Ein Projekt wie dieses zu leiten, das du mir übertragen hast, beansprucht schon meine sämtlichen Fähigkeiten – die Komplexität dessen, womit du dich befassen mußt, kann ich mir gar nicht vorstellen.«
Osiris setzte sich auf seinem großen Thron zurück und blickte über den Saal. »Nein, das kannst du nicht. In diesem Augenblick – genau in diesem Augenblick! – versammeln sich meine Feinde in meinem Ratssaal. Ich muß ihnen gegenübertreten. Es läuft eine Verschwörung gegen mich, und ich weiß noch nicht…« Er verstummte, dann zuckte er mit seinem mächtigen Kopf und beugte sich vor. »Ist jemand an dich herangetreten? Hat man dir Fragen über mich gestellt, dir Angebote gemacht, damit du Informationen lieferst oder dich an etwas beteiligst? Ich garantiere dir, so schrecklich mein Zorn jeden treffen wird, der mich verrät, meine Großzügigkeit gegen meine treuen Diener ist noch größer.«
Vor Angst, etwas Übereiltes zu sagen, blieb Dread lange Sekunden stumm. Der alte Teufel hatte noch nie so offen geredet, sich ihm gegenüber noch nie sorgenvoll oder verletzlich gezeigt. Er wünschte, er könnte die Szene irgendwie zur späteren eingehenden Betrachtung aufzeichnen, doch ihm blieb nichts übrig, als jedes Wort und jede Geste seinem schwachen menschlichen Gedächtnis einzuprägen.
»Niemand ist an mich herangetreten, Herr. Ich versichere dir, ich hätte es sofort gemeldet. Aber wenn ich irgend etwas tun kann, um dir zu helfen – Informationen beschaffen, Verbündete, denen du nicht traust, aus dem Weg …«
»Nein, nein, nein.« Mit einem ungeduldigen Schwenken seines Geißelszepters schnitt Osiris seinem Diener das Wort ab. »Ich werde damit nach meiner bewährten Manier verfahren. Du wirst deinen Teil tun, indem du dafür sorgst, daß das Luftgottprojekt abläuft wie geplant.«
»Selbstverständlich, Herr.«
»Geh jetzt. Ich werde noch einmal mit dir reden, bevor die Aktion anläuft. Besorg jemanden, der diesen Programmierer genau im Auge behält.«
»Ja, Herr.«
Der Gott schwenkte seinen Krummstab, und Dread
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