Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Der betonte Hüftschwung entlockte ihm ein Lächeln, und um das Lächeln zu untermalen, holte er ein Trompetenglissando dazu, scharf und kalt wie ein Messer. Bei den silbrigen Tönen fiel ihm seine eigene Klinge ein, ein einschneidiges Zeissing-Flechsenmesser, und unter dem Heulen der Trompeten zog er es zu einer Nahansicht heraus, eine langsame Überblendung, bei der er am ganzen Leib hart wie Stein wurde.
Die Frau wackelte die Treppe zur Tiefgarage hinunter, die Schritte ein wenig beschleunigt. Das prachtvolle Hinterteil schwang hin und her und zog seine Augen vom Messer ab. Blasse Frau, reich und schlank gefittet, sandfarbenes Haar, in hautenge weiße Hosen gezwängt. Sie hatte ihn noch nicht erblickt, aber sie mußte wissen, daß er ihr folgte, ein animalischer Teil von ihr, der gazellenhaft die Gefahr wittern konnte.
Sie schaute zurück, als sie am Fuß der Treppe angekommen war, und für einen kurzen Moment weiteten sich ihre Augen. Sie wußte Bescheid. Als er den düsteren Treppenschacht betrat, beschleunigte er die Drums; sie hämmerten ihm durch den Kopf, schlugen auf seinen Schädel ein wie Boxhandschuhe auf den schweren Sandsack. Aber sein Schritt wurde nicht schneller – dafür war er zu sehr Künstler. Lieber langsam gehen, langsam. Er stellte die prasselnden Trommeln leiser, um die Unaufhaltsamkeit des sich anbahnenden Höhepunkts zu genießen.
Ein raffinierter Gegenrhythmus stahl sich in den Mix, ein taktversetzt fallender Schlag, unregelmäßig wie ein versagendes Herz. Sie näherte sich jetzt ihrem Wagen, durchwühlte die Tasche nach der Fernentriegelung. Er veränderte die Bildhelligkeit, bis die Frau und ihre Wärme das einzige waren, was in der dunklen Garage schimmerte. Er ging jetzt schneller und trieb dazu die Musik zum Crescendo, so daß mehr Bläser hinzukamen und die Schläge sich überlappten.
Seine Finger legten sich sanft auf sie, aber vor Schreck über seine Berührung schrie sie dennoch auf und ließ ihre Handtasche fallen. Der Inhalt ergoß sich auf den Betonfußboden – gesuchte Fernentriegelung, teures Singapurer Datenpad, Lippenstifte wie Gewehrpatronen. Auf der hingefallenen Tasche sah er noch den verglimmenden Wärmeabdruck ihrer Hand.
Aggression kämpfte in ihrem Gesicht mit Angst – Wut darüber, daß jemand wie er sie anfaßte und sie seinetwegen ihr ach so privates Leben vor ihm ausleerte. Doch als er ihr Gesicht ganz nah heranholte und sein Mund sich zu einem Grinsen verzog, siegte die Angst.
»Was willst du?« Brüchig die Stimme, kaum hörbar über dem Lärm, der in seinen Schädelknochen dröhnte. »Du kannst meine Karte haben. Hier, nimm.«
Er lächelte, lässig, und die Musik hielt den erreichten Gipfel, zog ihn aus. Das Messer schnellte hoch und lag einen Augenblick an ihrer Wange. »Was Dread will? Dein Ding, Süße. Dein süßes Ding.«
Später, als er fertig war, dämpfte er die Musik zu einem Sonnenuntergangs-Diminuendo – Zirptöne wie Grillen, eine klagende Geige. Er trat über die sich ausbreitende Pfütze hinweg und hob mit einer Grimasse ihre Bankkarte auf. Was für ein Trottel würde so etwas mitnehmen? Nur ein Schwachkopf aus dem Outback würde sich das Kainszeichen auf die eigene Stirn malen.
Er setzte die Messerspitze an und zeichnete mit roten Strichen das Wort »SANG« auf die holographische Oberfläche des Kärtchens, dann ließ er es neben sie fallen.
»Wer braucht VR, wenn es RL gibt?« flüsterte er. »Was richtig Reales.«
> Der Gott blickte von seinem hohen Thron im Herzen von Abydos-Olim über die gekrümmten Rücken seiner tausend Priester hinweg, die vor ihm im Staub lagen wie sich sonnende Schildkröten am Nilufer, blickte durch den Qualm von hunderttausend Weihrauchfässern und das schimmernde Licht von hunderttausend Lampen. Sein Blick drang sogar durch die Schatten am äußersten Ende seines riesigen Thronsaales und weiter durch das Labyrinth der Gänge, das den Thronsaal von der Totenstadt trennte, aber immer noch konnte er den, den er suchte, nicht erspähen.
Ungeduldig klopfte der Gott mit seinem Geißelszepter auf die vergoldete Lehne seines Sessels.
Der Hohepriester Soundso – der Gott konnte sich schließlich nicht die Namen seiner ganzen Untergebenen merken, sie kamen und gingen wie Sandkörnchen im Wüstensturm – kroch vor den Podest, auf welchem der goldene Sessel stand, und preßte sein Gesicht auf die Granitplatten.
»O Geliebter des leuchtenden Re, Vater des Horus, Herr der beiden Länder«,
Weitere Kostenlose Bücher