Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
psalmodierte der Priester, »der du bist der Gebieter allen Volks, der du den Weizen wachsen läßt, der du starbst und doch lebst. O großer Gott Osiris, erhöre deinen unwürdigen Diener.«
    Der Gott seufzte. »Sprich.«
    »O herrlich Leuchtender, o Herr der grünen Gaben, dieser Unwürdige hier wünscht dir von einem gewissen Unfrieden zu berichten.«
    »Unfrieden?« Der Gott beugte sich vor und kam dabei dem auf den Knien liegenden Priester mit seinem Totengesicht so nahe, daß der alte Oberschleimer sich fast in die Hose machte. »In meinem Reich?«
    Der Priester geiferte los. »Es sind deine beiden Knechte Tefi und Mewat, die mit ihrem bösen Tun die Frommen bekümmern. Sicher ist es nicht nach deinem Wunsch, wenn sie in den Heiligtümern der Priester Zechgelage feiern und mit den armen Tänzerinnen auf schändliche Art umspringen. Und es heißt, daß sie sich in ihren Privatgemächern noch finstererem Treiben ergeben.« Der alte Priester duckte sich unterwürfig. »Ich wiederhole nur, was andere gesagt haben, o König des äußersten Westens, geliebter und unsterblicher Osiris.«
    Der Gott setzte sich zurück. Seine Maske verbarg seine Belustigung. Er fragte sich, wie lange diese Null gebraucht hatte, um den Mut aufzubringen, das Thema anzuschneiden. Er dachte kurz daran, ihn den Krokodilen vorzuwerfen, aber konnte sich nicht mehr erinnern, ob dieser Hohepriester ein Bürger oder bloß ein Replikant war. So oder so war es der Mühe nicht wert.
    »Ich werde darüber befinden«, sagte er und hob den Krummstab und die Geißel. »Osiris liebt seine Knechte, den größten wie den kleinsten.«
    »Gesegnet sei er, unser Herr über Leben und Tod«, brabbelte der Priester schon im Rückwärtskriechen. Für die Würdelosigkeit seiner Haltung legte er ein hervorragendes Tempo an den Tag – falls er ein Bürger war, hatte er seine Simulationstechnik gut gemeistert. Der Gott fand es richtig, daß er ihn nicht den Krokodilen vorgeworfen hatte – er konnte sich eines Tages als nützlich erweisen.
    Was die verruchten Knechte des Gottes betraf … tja, so lautete nun einmal ihre Tätigkeitsbeschreibung, nicht wahr? Freilich hätte er es lieber gesehen, die beiden würden irgendwo anders als in seinem liebsten und überaus minuziös konstruierten Heiligtum ihrer Verruchtheit nachgehen. Wenn sie sich erholen wollten, sollten sie gefälligst nach Old Chicago oder Xanadu gehen. Aber vielleicht war hier mehr vonnöten als bloß ein Verbot. Ein bißchen Disziplin konnte dem Dicken und dem Dünnen durchaus nicht schaden.
    Der eherne Stoß einer Fanfare und der Wirbel einer flachen Trommel vom hinteren Ende des Thronsaales rissen ihn aus seinen Gedanken. Gelbgrüne Augen glühten dort im Schatten.
    »Endlich«, sagte er und kreuzte seine Insignien abermals über der Brust.
    Das Wesen, das aus der Dunkelheit trat und vor dem die Priester sich teilten wie der große Fluß, wenn er eine Insel umfloß, schien fast zweieinhalb Meter groß zu sein. Sein stattlicher brauner Körper war muskulös, langgliedrig und geschmeidig; doch vom Hals aufwärts war es ein Tier. Der Schakalkopf äugte hin und her, wie die Priester beiseite spritzten. Mit aufgeworfenen Lippen bleckte er lange weiße Zähne.
    »Ich habe auf dich gewartet, mein Todesbote«, sagte der Gott. »Zu lange gewartet.«
    Anubis beugte flüchtig ein Knie und erhob sich wieder. »Ich hatte noch andere Sachen zu erledigen.«
    Der Gott atmete langsam ein, um ruhig zu bleiben. Er brauchte diese Kreatur und ihre besonderen Talente. Er durfte das nicht vergessen. »Andere Sachen?«
    »Ja. So dies und das.« Die lange rote Zunge kam heraus und leckte die Schnauze ab. Im Kerzenschein stachen dunkle Flecken, die wie Blutspuren aussahen, von den großen Fängen ab.
    Der Gott verzog angewidert das Gesicht. »Deine leichtsinnigen Eskapaden. Du bringst dich unnötig in Gefahr. Das will mir nicht gefallen.«
    »Ich mache meine Sachen, wie immer.« Die breiten Schultern zuckten; die glühenden Augen blinzelten lässig. »Aber du hast mich gerufen, und da bin ich. Was willst du von mir, Großvater?«
    »Nenn mich nicht so. Es ist impertinent und obendrein unzutreffend.« Der alte Gott holte abermals tief Luft. Es fiel ihm schwer, sich nicht über den Boten zu ärgern, bei dem selbst die kleinste Bewegung penetrant nach der Überheblichkeit des Zerstörers roch. »Ich habe etwas von großer Wichtigkeit entdeckt. Ich scheine einen Gegner zu haben.«
    Wieder blitzten die Zähne kurz auf. »Du

Weitere Kostenlose Bücher