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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Wasserfall, der vor dem Schrank eine Art Bassin bildete und von dort in beide Richtungen einen Flußarm ausstreckte. Für Wasser, das aus einer solchen Höhe stürzte, spritzte es nicht sehr. »Becken immer fließen über.«
    Orlando kam zu dem Schluß, daß er das Wieso und Warum dieses Ortes nicht so ohne weiteres herauskriegen würde und sich lieber darauf konzentrieren sollte, was als nächstes geschah. Dennoch war ihm unwohl, denn es widersprach seiner Thargorausbildung, daß er die Spielregeln nicht kannte.
    Starke Marke half ihnen ins Kanu, zauberte ein Paddel herbei und schob das Boot auf den Fluß hinaus.
    »Und wen verfolgen wir?« fragte Orlando.
    »Böse Männer«, antwortete der Indianer und legte einen langen, knöchellosen Finger auf die Lippen. »Leise reden. Küche wachen auf.«
    Im Mondlicht der Glühbirne hoch über ihnen war das Drumherum nur schwer zu erkennen. Orlando lehnte sich zurück und beobachtete, wie die Schatten des Küchentresens und der Schränke vorbeiglitten.
    »Wieso machen wir das mit?« flüsterte Fredericks.
    »Weil er uns geholfen hat. Jemand hat seinen Jungen entführt.« Die Erinnerung an die traurigen Augen von Sicher-ist-sicher erschien ihm als unwiderlegliches Argument.
    Fredericks war anscheinend anderer Meinung. »Das ist Blödsinn, Orlando. Es sind bloß Reps!« Er neigte den Kopf dicht an Orlandos Ohr, weil er diese harte Feststellung nicht so laut aussprechen wollte, daß der einzige Replikant in der Nähe sie mithören konnte. »Wir haben vielleicht die einzigen richtigen Menschen in diesem ganzen verdumpften Laden verloren, und statt nach ihnen zu suchen, riskieren wir unser Leben für irgend … so’n Code!«
    Orlando erstarb die Entgegnung auf der Zunge. Sein Freund hatte recht. »Ich dachte bloß … es kommt mir irgendwie richtig vor, das zu machen.«
    »Das ist kein Spiel, Gardiner. Das hier ist nicht Mittland. Es ist zum Beispiel viel verrückter, um nur einen Unterschied zu nennen.«
    Orlando konnte bloß den Kopf schütteln. Für seine vage und völlig unerklärliche Überzeugung, daß sie das Richtige taten, gab es keine besonders stichhaltigen Argumente. Und überhaupt, dachte er, vielleicht machte er sich bloß was vor. Der simple Umstand, daß er sich bewegen konnte, ohne sich zu fühlen, als ob es ihn gleich umbringen würde, hatte einige der rauheren Tatsachen zurücktreten lassen, und er war rasch in seine Gewohnheit als Spieler verfallen, jede Herausforderung anzunehmen und aufs Geratewohl scheinbar sinnlose Bündnisse zu schließen. Doch das war Spiellogik – die Situation, in der sie sich hier befanden, war kein Spiel. Wirkliche Leben waren in Gefahr. Die Leute, gegen die sie kämpften, waren nicht das Hohe Schiedsgericht, eine Clique besessener Ingenieure und rollenspielender Fachidioten. Nein, falls Sellars sich die ganze Sache nicht ausgedacht hatte, waren die Herren von Anderland unermeßlich reich, mächtig und grausam. Letztlich waren sie Mörder.
    Und was unternahm Orlando gegen diese Bedrohung und die Tatsache, daß er von den einzigen anderen Leuten getrennt worden war, die sich der Gefahr bewußt waren? Er gab sich dazu her, mit einem Cartoonindianer in einer Zeichentrickküche nach einem verschollenen Cartoonkind zu suchen. Fredericks hatte recht. Es war ziemlich bescheuert.
    Er machte den Mund auf, um seine Dummheit einzugestehen, doch da drehte der Häuptling sich um und legte abermals den Finger auf die Lippen. »Pssst.«
    Direkt vor ihnen schaukelte etwas auf den Wellen. Der Indianer beachtete es gar nicht und steuerte das Kanu schweigend daran vorbei; seine Aufmerksamkeit war auf etwas weiter vorn gerichtet. Orlando konnte gerade noch erkennen, daß der schwimmende Gegenstand eine voll Wasser gelaufene und rasch sinkende Schachtel war und daß sie nach der kaum noch leserlichen Aufschrift einmal Bohnerwachs enthalten hatte, als er von einem langsamen, angestrengten Schnaufen abgelenkt wurde.
    »Was ist das?« fragte Fredericks nervös.
    Eine Gestalt begann sich vor ihnen auf dem Fluß abzuzeichnen, eine außerordentlich merkwürdige Gestalt. Starke Marke paddelte weiter, bis sie dicht herangekommen waren, aber Orlando konnte immer noch nicht genau ausmachen, was da neben ihnen auf dem Wasser trieb. Es war anscheinend klappbar und glich einer offenen Austernschale, aber noch eine andere Gestalt, dürr und gebückt, stand wie die berühmte Venus darin, die Orlando auf so vielen Reklamebildern und in so vielen Knoten gesehen

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