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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hatte.
    Es war eine Art Schildkröte, erkannte er schließlich, aber sie war nackt und stand in ihrem eigenen aufgeklappten Panzer. Um die Absurdität noch zu steigern, blies sie gegen die hochstehende Panzerhälfte, wie um sich damit vorwärts zu treiben.
    »Das ist total tschi-sin«, murmelte Fredericks. »Es … es ist eine Schildkröte.«
    Die dürre Gestalt wandte sich ihnen zu. »Das stimmt nicht ganz«, sagte sie mit würdevollem, aber sehr näselndem Tonfall. Sie holte von irgendwoher eine Brille, setzte sie wacklig auf das Ende ihrer schnabelartigen Nase und nahm die Bootsinsassen gründlich in Augenschein, bevor sie wieder das Wort ergriff. »Ich bin eine Landschildkröte. Wenn ich eine gewöhnliche See- oder Flußschildkröte wäre, könnte ich doch schwimmen, oder?« Sie drehte sich um und gab abermals einen zittrigen Hauch von sich, aber der Panzer bewegte sich keinen Zentimeter vorwärts. Dafür glitt das Kanu neben sie, und mit umgekehrten Paddelschlägen hielt Häuptling Starke Marke es auf gleicher Höhe.
    »Das nicht gehen«, stellte er ruhig fest.
    »Das ist mir auch schon aufgefallen«, entgegnete die Landschildkröte. »Sonst noch hilfreiche Kommentare?« Mit ihrer Würde war es ziemlich traurig bestellt. Sie hatte nichts am Leib als ihre schlaff herabhängende Haut, und mit ihrem wackelnden Kopf auf einem runzligen Hals machte sie den Eindruck einer alten Jungfer im Nachthemd.
    »Wohin wollen?« fragte Starke Marke.
    »Zurück ans Ufer, so schnell wie möglich.« Die Landschildkröte zog die Stirn in Falten. »Ich hatte eigentlich gedacht, ich wäre inzwischen schon näher dran. Mein Panzer ist zwar wasserabweisend, aber für Flußfahrten scheint er nicht sehr geeignet zu sein.«
    »Steigen ein.« Der Häuptling paddelte etwas näher. »Wir dich bringen.«
    »Sehr freundlich!« Die Landschildkröte musterte ihn trotzdem noch einen Moment. »Du meinst, zurück an Land?«
    »Zurück an Land«, bestätigte der Indianer.
    »Vielen Dank. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Eine große Tube Scheuermittel Marke ›Weißer Hai‹ bot mir vor einer Weile an, mich auf dem Rücken mitzunehmen. ›Halt dich einfach an meiner Flosse fest‹, redete sie mir zu. Aber die Sache war mir irgendwie nicht ganz … geheuer, wenn ihr versteht, was ich damit sagen will.« Die Landschildkröte kraxelte aus dem samtigen Innern ihres Panzers in das Kanu, beugte sich über die Seitenwand und zog den schwimmenden Rückenschild nach. Der Häuptling steuerte das Ufer am Fuß des Küchenschranks an.
    Die Landschildkröte stieg mit einem Bein in ihren Panzer, als sie bemerkte, daß Orlando und Fredericks ihr zusahen. »Es wäre ein wenig höflicher«, sagte sie pikiert, »wenn ihr euch umdrehen würdet, solange ich mich anziehe. Sollte der Platz dazu nicht ausreichen, könntet ihr wenigstens die Augen abwenden.«
    Orlando und Fredericks starrten sich daraufhin gegenseitig an, und während die Landschildkröte ihre äußere Hülle wieder über sich zog und beim Zurechtrücken leise ungeduldige Töne von sich gab, mußten sie mit aller Gewalt das Lachen zurückhalten, das aus ihnen herauszuplatzen drohte. Orlando biß sich fest auf die Lippe, und als er den Schmerz fühlte, fragte er sich plötzlich, wie stark die Sperrschaltungen in seiner implantierten Neurokanüle sein virtuelles Verhalten wohl im RL unterdrücken mochten. Biß er sich gerade auf seine wirkliche Lippe? Und wenn nun seine Eltern oder die Leute im Krankenhaus tatsächlich alles mit anhörten, was er sagte, und alles beobachteten, was er machte? Sie hätten weiß Gott Grund, sich zu wundern. Oder sie würden denken, er wäre voll durchgescännt.
    Was als unangenehmes Gedankenspiel begonnen hatte, erschien ihm auf einmal in seiner ganzen Absurdität, und das lange zurückgehaltene Lachen brach heraus.
    »Ich hoffe, du amüsierst dich gut«, sagte die Landschildkröte frostig.
    »Es ist nicht deinetwegen«, versicherte Orlando, als er sich wieder im Griff hatte. »Ich dachte bloß grade an was …« Er zuckte mit den Achseln. Es war nicht zu erklären.
    Als sie sich dem Flußufer näherten, sahen sie etwas an Land funkeln und hörten leise, aber lebhafte Musik. Eine große Kuppel erhob sich dicht am Rand des Wassers über den Fußboden. Durch Hunderte von kleinen Löchern strömte Licht heraus, und eine bunte Vielfalt seltsamer Silhouetten ging durch ein größeres Loch an der Seite ein und aus. Die Musik war jetzt lauter, eine rhythmische, aber altmodische

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