Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und gemeinsam staksten wir auf eine ebene, leicht gekräuselte Fläche zu, die das Ende der Simulation darstellte. William und Florimel erreichten sie und gingen hindurch, und im Nu waren ihre charakteristischen Signaturen meiner Wahrnehmung entzogen. Quan Li und ich folgten ihnen.
Das erste, was ich auf der anderen Seite registrierte, mein allererster Eindruck, war ein ungeheurer Hohlraum, der sich vor mir auftat. Abgesehen von dem Fluß, der immer noch stark neben uns dahinschoß, stand ich einer gewaltigen Leere gegenüber, während ich in Kunoharas Welt überall von dicht gepackter Information umgeben gewesen war. Das zweite, was ich spürte, war, daß Florimel am Rand dieser großen Leere stand, ein oder zwei Schritte dahinter William. Zu meiner Verwunderung machte sie mehrere Schritte zur Seite, tiefer in den Fluß hinein, wie um etwas besser erkennen zu können. Die Strömung erfaßte mit einem Ruck ihre Beine. Sie ruderte heftig mit den Armen, wankte und wurde mitgerissen.
Quan Li schrie neben mir vor Überraschung und Schreck auf. Sweet William haschte vergeblich nach der Stelle, wo sie gestanden hatte. Ich fühlte, wie Florimels Gestalt den Fluß hinuntergespült wurde, fühlte, wie sie gegen den Zug ankämpfte, und staunte daher nicht schlecht, als ich Williams heisere Stimme sagen hörte: ›Seht euch das an! Sie fliegt! Wie geht das zu, zum Teufel?‹
Während wir alle ihre Bewegungen mitverfolgten, bekam Florimel sich wieder einigermaßen unter Kontrolle und strebte an den Rand des Flusses beziehungsweise an den Rand dessen, was ich weiterhin als Fluß wahrnahm, aber was anscheinend niemand wirklich sehen konnte. Sie arbeitete sich aus der Strömung heraus, ins Nichts, wie mir schien, und sofort verlangsamte sich ihre Fortbewegung. Sie fing an zu fallen, erst langsam, dann immer schneller.
William schrie: ›Schlag mit den Armen, Flossie!‹, eine Bemerkung, die mir zunächst selbst für seine Verhältnisse unglaublich grausam vorkam, die sich aber als guter Rat herausstellte. Als Florimel ihre Arme ausstreckte, glitt sie nach oben, als ob sie unsichtbare Flügel ausgebreitet hätte. Zu unserem wachsenden Erstaunen sauste und kurvte sie umher wie ein Vogel und beschrieb in der scheinbar leeren Luft vor uns große Spiralen. Nach wenigen Minuten war sie wieder bei uns angelangt, schwebte dicht vor uns auf dem Wind und hielt sich mit gelegentlichen Armbewegungen oben.
›Das ist wunderbar!‹ rief sie. ›Springt ab! Die Luft wird euch tragen!‹
Jetzt erkannte ich, daß der Raum, der mir anfangs als eine große Aushöhlung vorgekommen war, seine eigenen Formen von Information hatte, aber viel weniger statisch war als die Welt, die wir gerade verlassen hatten. Er verlangte von mir eine gewisse … Neukalibrierung – ein besseres Wort fällt mir nicht ein –, und ein paar hastige Erkundigungen bei den anderen halfen mir, das Bild zu vervollständigen. Wir standen auf einem Felsvorsprung über einem gewaltigen steinernen Tal, dessen Sohle weit unten unsichtbar im Schatten lag. Dem Dämmerlicht nach zu schließen, war es hier entweder Abend wie in Kunoharas Welt oder früh am Morgen. Auf jeden Fall war über den Gipfeln, die das Tal säumten, nur blaugrauer Himmel wahrzunehmen. Weiter hinten in der Schlucht konnten wir andere kleine Gestalten erkennen, aber der Entfernung wegen nur undeutlich, selbst ich mit meinen Sinnen.
Der Fluß war eine schnelle horizontale Luftströmung geworden, unsichtbar für die anderen, nicht aber für mich, ein durch die Schlucht ziehender ununterbrochener Sog.
Nach einem kurzen Wortwechsel traten Sweet William und ich zusammen von dem Vorsprung. Es war, wie Florimel gesagt hatte: Wenn wir unsere Arme ausbreiteten und sie uns als Flügel dachten, konnten wir die Luftströmungen ausnutzen – es gab viele Brisen, die nicht so stark waren wie der Luftfluß und dennoch sehr hilfreich – und schweben oder uns sogar emporschwingen. Quan Li und T4b zu überreden, die Sicherheit des Felsens zu verlassen, war schwerer. Besonders T4b schien zu meinen, daß sein Panzerkostüm ihn nach unten ziehen würde, auch wenn es nicht realer war als das Tal oder die Luftströmungen.
›Tja, das hättest du dir überlegen sollen, bevor du dich unbedingt als wandelnde Werkbank ausstaffieren mußtest, stimmt’s oder hab ich recht?‹ erklärte William ihm.
Schließlich konnten wir die beiden anderen bewegen, sich der ihnen trügerisch erscheinenden Luft
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