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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schwimmfüßen und einem wie ausgehöhlt wirkenden Rücken, der ihm den Anschein eines langen pelzigen Bootes verlieh. Quan Li taufte es auf den Namen ›Fährmann‹.
    Wir flogen stundenlang, immer mit dem Fluß. Die Schlucht blieb die ganze Zeit über weitgehend unverändert, allerdings kamen wir an ein paar Wasserfällen vorbei – nicht aus Luft wie der Fluß, sondern aus richtigem Wasser, das sich aus der Höhe ins Tal ergoß. Es gab genug Löcher in der Schluchtwand, daß ich mich zu fragen begann, was für größere Wesen diese Welt wohl außerdem bewohnen mochten, vor allem ob manche vielleicht etwas weniger harmlos waren als die Vögel und die Fährleute. Meine Sinne hatten sich mit dieser neuen Umwelt noch nicht genügend vertraut gemacht, um die Signatur möglicher in den Höhlen lauernder Gefahren von dem Chaos fliegender Wesen und wirbelnder Luftströme ringsumher zu unterscheiden. Obwohl es sein kann, daß meine Sinne sich hier letzten Endes als zuverlässiger erweisen als die meiner Gefährten – zum Beispiel dadurch, daß ich den Fluß ›sehen‹ kann, sie aber nicht –, bin ich insofern benachteiligt, als ich mich mit einer völlig neuen Kategorie von Anzeigern vertraut machen muß. Das ist etwas, worauf ich mich künftig vorbereiten muß, falls wir noch in andere Simulationen eintreten. Vor allem in den ersten Stunden war ich wie eine Fledermaus, die plötzlich in eine Konfettiparade geraten ist.
    Die anderen hingegen mußten nur von ihren natürlichen Sinnen Gebrauch machen, und nachdem sie einmal das Fliegen heraushatten, schienen sie sich prächtig zu amüsieren. Besonders William war in dieser neuen Umgebung so fröhlich wie ein kleines Kind, und er war es, der ihr den Namen ›Aerodromien‹ gab. Fürs erste hatten wir den Ernst unserer Probleme und das Schicksal unserer verschollenen Gefährten beinahe vergessen. Ein bißchen war dieser erste halbe Tag in der neuen Welt wie erholsame Ferien.
    Es war am späten Nachmittag, als wir den ersten menschlichen Aerodromiern begegneten. Sie tummelten sich auf einem horizontalen Baum in der Nähe eines großen Wasserfalls, ein Stamm von vielleicht zwei Dutzend Seelen. Einige duschten, andere füllten Fellschläuche, die sie an breiten Gürteln trugen. Als sie uns erspähten, verstummten sie, und ohne Gefährten, die sehen konnten, hätte ich sie womöglich gar nicht bemerkt, da der Wasserfall für mich ein erhebliches Informationschaos war.
    Auf Florimels Anraten hin bewegten wir uns langsam und indirekt auf sie zu, um zu demonstrieren, daß unsere Absichten friedlich waren.
    Die Menschen, die den Schilderungen der anderen nach dunkelbraune Haut und scharfgeschnittene Züge haben wie die nilotohamitischen Völker auf der Erde, beobachteten uns genau und blickten dabei aus dem Dunstschleier des Wasserfalls heraus wie eine Schar ehrwürdiger Eulen. Einige Frauen zogen ihre nackten Kinder an sich. Mehrere Männer erhoben bei unserem Nahen kurze, schlanke Speere, machten aber keinen sehr gewaltbereiten Eindruck. Wir erfuhren später, daß die Speere eigentlich Harpunen sind, von denen jede mit einer zwanzig bis dreißig Meter langen Leine aus geflochtenem Menschenhaar an ihrem Besitzer festgemacht war, wobei die Leinen wertvoller sind als die Waffen. Insgesamt schienen sie kulturell auf einer Stufe zwischen Jungsteinzeit und früher Bronzezeit zu stehen, obwohl rasch deutlich wurde, daß diese Leute kein Metall gebrauchten.
    Einer der Männer, eine drahtige Erscheinung mit einem ergrauenden Kinnbart, schwang sich von seinem Ast und glitt mit einer Eleganz auf uns zu, die uns allen bewußt machte, wie wenig wir noch vom Fliegen verstanden. Er breitete im letzten Moment seine Arme aus, so daß er wie ein Schmetterling vor uns aufstieg, und fragte in durchaus verständlichem Englisch, wer wir seien.
    ›Wir sind Reisende‹, erwiderte Florimel, womit sie sich einen mißmutigen Blick von William einhandelte, weil sie die Initiative ergriffen hatte. Ich frage mich wirklich, ob dieses Führungsgerangel ewig so weitergehen soll. Ich hoffe inbrünstig, daß es irgendwann aufhört. ›Wir haben nichts Böses im Sinn‹, erklärte sie. ›Wir sind hier fremd.‹
    Der Häuptling oder Anführer, oder was er sonst war, gab sich damit zufrieden, und eine kurze Unterhaltung schloß sich an. Florimel fragte ihn, ob er unsere Gefährten gesehen habe, und beschrieb die vier Vermißten, doch er schüttelte den Kopf und antwortete, daß mindestens seit ›einem Dutzend

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