Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
das blaue Leuchten, das jetzt sogar ihre Gesichter färbe, so hell sei es, nach wenigen Metern abrupt ende.
Als wir die von mir wahrgenommene Grenze des Raumes erreichten, geschah etwas Seltsames. Eben noch gingen wir in einer Reihe am steinigen Ufer vorwärts, immer hinter Florimel her. Beim nächsten Schritt marschierte Florimel in der Gegenrichtung an Quan Li vorbei, die direkt hinter ihr gewesen war.
Meine Gefährten wunderten sich und probierten alle nacheinander diesen sonderbaren Umkehreffekt aus. Es gab keine Wahrnehmung eines Bruchs, keinen Punkt, an dem sie spürten, daß sie kehrtmachten. Es war wie ein Schnitt zwischen zwei Bildsequenzen auf einem altmodischen Videoband – vorwärts, vorwärts, vorwärts, zurück.
Ich war weniger überrascht als die übrigen. Ich hatte gefühlt, wie Florimels Datenform einen Sekundenbruchteil lang verschwand, bevor sie umgedreht wieder erschien. Anscheinend waren nur meine geschärften Sinne imstande, die Mikrosekunden wahrzunehmen, in denen sich dieser Spukschloßeffekt ereignete. Aber das half auch nichts. Wie viele Male wir es auch versuchten, in welchem Tempo und in welchen Kombinationen, wir kamen am Flußufer nicht weiter. Ich nehme an, daß die Designer mit diesem Trick die benötigten Eintritts- und Austrittspunkte begrenzen. Ich frage mich, ob die nichtmenschlichen Replikanten an dieser Stelle nicht vielleicht irgendwelche vorgefertigten Erinnerungen an Ereignisse auf der anderen Seite einer Barriere erhalten, die sie niemals als solche erkennen.
Diese und andere Spekulationen, von den Auseinandersetzungen ganz zu schweigen, nahmen den größten Teil einer Stunde in Anspruch. Offensichtlich mußte der Austritt aus der Simulation auf dem Fluß selbst geschehen. Aber ebenso offensichtlich wären wir, wenn wir ein Boot gebaut hätten, erst irgendwann im Laufe des nächsten Tages hinausgekommen, da die Sonne bereits im Westen unterging. Außerdem mußten wir uns entscheiden, ob wir Kunoharas Behauptung Glauben schenken wollten, daß es Zufall sei, wohin die Durchgänge – anscheinend die Übergänge zwischen den verschiedenen Simwelten – führten. Wenn das stimmte, spielte die Zeit keine große Rolle, da dann die Chancen, Renie und Orlando mit ihren Freunden auf der anderen Seite zu finden, gering waren.
Zuletzt beschlossen wir, auf diese Überlegung keine Rücksicht nehmen zu können. Florimel erbot sich freiwillig, uns zu Fuß durch die flacheren Stellen am Rand des Flusses zu führen. Sweet William war davon nicht begeistert und wies – mit einiger Berechtigung – darauf hin, daß der Fluß auf der anderen Seite des Gateways stärker oder breiter sein könne; wir könnten mitgerissen werden und ertrinken. Wir wüßten nicht einmal, ob der Fluß dort drüben wirklich aus Wasser und nicht vielmehr aus Schwefelsäure, Zyanid oder etwas ähnlich Unerfreulichem sei.
Ich pflichtete ihm bei, sagte aber auch, wenn wir uns irgendeine Chance ausrechnen wollten, unsere verschollenen Gefährten wiederzufinden, sei Geschwindigkeit das Wichtigste überhaupt. Der Gedanke, eine weitere Nacht in dieser Umgebung verbringen zu müssen, machte mich nervös, das allerdings sagte ich nicht. Zum erstenmal waren mir einige der Strukturen aufgegangen, die diesem neuen Universum, wie Kunohara es genannt hatte, zugrunde lagen, und ich hatte gespürt, daß meine frühere Hilflosigkeit ein wenig verging. Ich wollte weiter. Ich wollte mehr herausfinden.
Die anderen drei waren meiner Meinung, und so schloß William sich widerwillig an, allerdings unter der Bedingung, daß er neben Florimel gehen dürfe, damit einer dem anderen helfen könne, falls Widrigkeiten auftreten sollten.
Wir fanden eine Stelle, an der der Uferrand nicht ganz so hoch über dem Fluß war – bei unserer Größe gab es keine sanften Böschungen –, und mit Hilfe eines Grashalms kletterten wir zum Wasser hinunter, wo wir allerdings in Reichweite des Ufers blieben.
Das Wasser war nicht mehr als knietief, aber die Strömung war stark, und das Wasser strahlte eine eigenartige Lebendigkeit aus, als ob es voll geladener, vibrierender Teilchen wäre. Quan Li teilte mir mit, der visuelle Effekt sei höchst spektakulär – ›wie wenn man durch ein Feuerwerk watet‹, sagte sie. Für mich war es weniger erfreulich, da die simulierten Energien der fürchterlichen Datenüberlast, die mich anfangs bei der Ankunft in Otherland schier erschlagen hatte, unangenehm glichen. Ich hielt mich an Quan Lis Ellbogen fest, um
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