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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und haarig und mit so kneifigen Fingern. Wie hältst du ihn bloß aus?«
    Renie überlegte ungefähr zwei Sekunden, ob sie versuchen sollte, !Xabbus Situation zu erklären, aber entschied sich dann dagegen. Falls dieses Mädchen ein Replikant war, wäre es bloß verwirrend, ihr etwas über VR und angenommene Identitäten zu erzählen, oder sogar unnötig grausam. Es sei denn …
    »Er ist in Wirklichkeit kein Affe.« Renie bemühte sich um ein begütigendes Lächeln; ihr tat dabei regelrecht der Mund weh. »Er … er ist verzaubert. Er ist in Wirklichkeit ein Mann – ein sehr netter Mann –, aber jemand Böses hat ihn in einen Affen verwandelt.«
    »Wirklich?« Emilys Augen wurden wieder weit. »Oh, wie traurig!«
    »Ja.« Renie ließ sich auf der Bettkante nieder und versuchte es sich gemütlich zu machen, aber in ihrem ganzen Körper schien es keinen ungepeinigten Muskel zu geben. »War das dein ganzer Kummer?«
    »Nein – ja. Nein.« Wie erschöpft von diesen Sinnesänderungen faßte Emily sie einen Moment lang ins Auge, bevor sie plötzlich und höchst dramatisch in Tränen ausbrach. »Was w-wird mit uns p-p-passieren?«
    »Mit uns?« Renie tätschelte die Schulter des Mädchens, fühlte durch das dünne Kleidchen die kleinen, vogelähnlichen Knochen. Ein komisches Gefühl, schon wieder jemanden beruhigen zu dürfen, die Ersatzmutter zu spielen, und zudem schwer, dabei nicht an Stephen zu denken, doch für heute war ihr Bedarf an Schmerz gedeckt. »Wir sind den vielen Leuten entkommen, die uns verfolgt haben. Hast du das schon vergessen?«
    »Das meine ich nicht. Was wird aus m-mir? Was wird aus dem kleinen Baby in meinem B-Bau-Bauch?«
    Renie wollte etwas Aufmunterndes sagen, doch ihr fiel nichts ein. Womit hätte sie dieses Mädchen trösten sollen, diese auf Babygebrabbel und Hilflosigkeit codierte Kreatur? Selbst wenn sie und !Xabbu aus der Simulation hinauskamen, war es nahezu sicher, daß Emily den Wechsel nicht mitvollziehen würde. Und wenn es durch irgendeinen Dusel doch passierte, konnten sie es sich dann leisten, sie mitzunehmen? Ausziehen, um die Welt zu retten, begleitet von einem schwangeren, geistig minderbemittelten Püppchen, das laufend Fürsorge brauchte? Gar nicht auszudenken.
    »Es wird alles gut werden«, brachte sie schließlich über die Lippen und verabscheute sich sofort dafür.
    »Wird es nicht, wird es nicht! Weil mein Henry mich nicht mehr liebt! Dabei hat er mich geliebt, echt, und er hat mir das hübsche Ding gegeben, und wir haben die ganzen Liebhabsachen gespielt, und er hat gesagt, ich wäre sein Pudding, und jetzt ist alles … Untu!« Die merkwürdige Bildung schien das schlimmste Wort zu sein, das sie kannte. Kaum hatte sie es ausgesprochen, warf sie sich heulend auf das Bett und preßte das Gesicht ins Laken.
    Obwohl sie nur Mitgefühl und ein besänftigendes Streicheln zu vergeben hatte, gelang es Renie schließlich, das Mädchen wieder in einen normalitätsähnlichen Zustand zu bringen. »Das glänzende, hübsche Ding, das er dir gegeben hat«, fragte sie, als die Weinende sich halbwegs beruhigt hatte, »hat er dir erzählt, wo er es her hat?«
    Emilys Augen hatten rote Ränder, ihre Backen waren fleckig, und ihr lief die Nase, aber immer noch war sie aufreizend hübsch. Sofern Renie noch irgendwelche Zweifel daran gehabt hatte, daß die Schöpfer von Kansas Männer waren, ließ sie die jetzt fahren. »Er hat mir gar nichts erzählt, außer daß es mir gehört!« jammerte das Mädchen. »Ich hab’s nicht gestohlen – er hat es mir geschenkt!«
    »Ich weiß.« Renie dachte daran, sie zu fragen, ob sie das Juwel noch einmal sehen dürfe, aber sie wollte das Mädchen nicht noch mehr in Aufregung versetzen. »Ich weiß.«
    Als die verschwitzte und todunglückliche Emily zuletzt wieder in einen unruhigen Schlaf gesunken war, ging Renie hinaus und begab sich zum Heck. Sie fühlte das Ziehen der Sucht und hätte am liebsten um eine Zigarette gebeten, aber sie hatte ihre eigene Regel schon einmal gebrochen. »Sie ist wirklich völlig aus dem Häuschen«, berichtete sie.
    Azadors Augen huschten kurz zur Kajüte. »Ist mir aufgefallen.«
    »Kann sein, daß diese Leute Reps sind«, fügte Renie hinzu, »aber auf jeden Fall halten sie sich nicht dafür. Es mag ja alles Code sein, aber der Eindruck von Echtheit ist ziemlich erschlagend.«
    »Diese reichen Gadschoschweine haben mehr Geld, als ihnen selber gut tut. Sie beschäftigen zu viele Programmierer, wollen unbedingt alles

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