Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Wohnung wieder vermieten – nicht wegen des Geldes, sondern einfach um noch jemand im Haus zu haben, nicht wahr, falls mal ein Notfall eintritt oder so. Aber vermutlich habe ich mich zu sehr an das Leben allein gewöhnt. Na ja, abgesehen von Mischa.«
Aus dem Treppenhaus traten sie in einen Raum, in dem Ramsey die gute Stube der oberen Wohnung vermutete, ein nicht allzu großes Zimmer mit einem Kamin und wenigen eher kargen und geschmackvollen Möbelstücken. Wie zum Hohn auf die Schlichtheit des übrigen Raumes wurde die hintere Ecke von einem riesigen, mit Kabeln behängten Gerät beherrscht, das wie ein Mittelding zwischen der Kommandokapsel eines Raumschiffs und einem altmodischen elektrischen Stuhl aussah.
»Ich bin geschwätzig, nicht wahr?« Sie sah, daß er den Stuhl betrachtete. »Der ist für meine Arbeit. Wir alle – alle Onkel Jingles und die übrigen Figuren, heißt das – arbeiten von zuhause aus.« Sie stockte plötzlich, runzelte die Stirn und tippte sich an die Stirn – die exaltierte Körpersprache einer Pantomimin. »Sowas von Vergeßlichkeit! Hättest du gern einen Tee? Ich könnte auch Kaffee machen.«
»Tee wäre mir recht.«
»Einen kleinen Moment.« Sie blieb vor der inneren Tür stehen. »Jetzt wird gleich etwas passieren. Erschrickst du leicht?«
Er konnte sich ihre Miene nicht deuten. »Erschrecken?« Liebe Güte, was wollte diese Frau ihm zeigen? Konnte es sein, daß diese ganze Heimlichtuerei und Bangigkeit am Ende doch gerechtfertigt waren?
Sie öffnete die Tür, und ein winziges, wuscheliges Etwas sauste mit klackernden Krallen über die blanken Fußbodendielen. Zu seiner Schande zuckte Ramsey zusammen. Als ob Tür und Maul irgendwie gekoppelt wären, fing das kleine Knäuel sofort an zu bellen, kaum daß es draußen war. Es hatte das Organ eines viel größeren Tieres.
»Mischa ist ein ganz Wilder«, sagte sie, und da merkte er, daß sie sich mühsam ein Lächeln verkniffen hatte. »Er ist jedoch nicht ganz so fürchterlich, wie er sich gebärdet.« Sie schlüpfte ins Nebenzimmer und schloß hinter sich die Tür, so daß er mit dem kleinen, fledermausohrigen Hund allein blieb, der knapp außer Ramseys Reichweite hin und her schoß und laute Töne des Widerwillens und Mißtrauens von sich gab.
Catur Ramsey war tief in die Couch gesunken, während die Frau ihm von ihrer Odyssee von einem Arzt zum anderen erzählte und von den vielen Diagnosen, die unbeirrt sonnig geblieben waren, auch wenn die Kopfschmerzen gar nicht daran dachten aufzuhören. Mit zunehmendem Vertrauen teilte sie ihm auch die Ergebnisse ihrer Nachforschungen mit, den nächsten Katalog wertloser Befunde; sie wollte ganz offensichtlich den Mut aufbringen, ihm etwas zu sagen, das sie für wichtig erachtete, und genauso offensichtlich hatte sie den Punkt noch nicht erreicht. Seine von Zeit zu Zeit umherschweifenden Augen blieben an einem gerahmten Bild hängen, das umgedreht auf dem Kaminsims lag, und er fragte sich, wer das sein mochte. Alle guten Anwälte hatten etwas von einem Polizisten an sich, eine penetrante, aufdringliche Stimme, die in einem fort Fragen stellte. Die wirklich guten Anwälte jedoch wußten, wann sie diese Stimme ignorieren mußten. Olga Pirofsky hatte augenscheinlich das Bedürfnis zu reden, und Ramsey ließ sie.
»… Und an dem Punkt dachte ich …« Sie zögerte, dann beugte sie sich vor, um den Hund am Kopf zu kraulen. Das kleine schwarzweiße Wesen lugte zwischen ihren Fußknöcheln hervor und funkelte Ramsey an, als wäre er eine Art Sendbote des Antichristen an die Hunde der Welt. »Es ist so schwer zu sagen – es hört sich einfach albern an, wenn du so vor mir sitzt, und dabei bist du den ganzen Weg gekommen, bloß um mich zu sehen.«
»Ich bitte dich, Frau Pirofsky. Ich bin so lange nicht mehr aus meinem Büro herausgekommen, daß ich schon anfange, mit den Gummibäumen zu reden. Selbst wenn du mich jetzt auf der Stelle rauswirfst, wird es mir gut getan haben.« Und das stimmte sogar, begriff er. »Erzähl mir die Geschichte einfach auf deine Art.«
»Ich dachte, das kann doch kein Zufall sein. Daß kein einziger Teilnehmer an der Sendung – wir bewahren sämtliche Daten auf, wie ich dir schon sagte – jemals dieses Tandagoresyndrom bekommen hat. Das kommt mir einfach nicht normal vor. Das müssen Millionen sein, Herr Ramsey. Ich habe bei meiner Arbeit nicht mit Statistik zu tun, aber das kommt mir einfach nicht normal vor.«
»Und …?« Er war sich nicht ganz sicher,
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