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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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um es sofort auszuprobieren, flammte über der Kajüte etwas Weißes auf, ein leuchtender senkrechter Streifen Leere, der über dem wiederbelebten Fluß und Dschungel stand wie ein Engel, ein Stern, ein Riß in der Leinwand der Wirklichkeit. Er wand sich hin und her und bekam dabei Arme und Beine und einen gesichtslosen weißen Fleck an der Stelle, wo der Kopf hingehört hätte.
    »Sellars …?« hauchte sie, aber konnte sich immer noch nicht rühren, obwohl sie ihren Körper wieder spürte, die Arme herabhängen, die Füße auf dem Deck stehen fühlte. Das Wiedererkennen dieser seltsamen Gestalt, dieser Abwesenheit visueller Informationen überwältigte sie. »Gütiger Himmel«, schrie sie jetzt, »ist das endlich Sellars?«
    Die weiße Form streckte die Arme aus, als wollte sie das Wetter prüfen. Renie sah, wie !Xabbu sich neben ihr reckte und seine lange Schnauze hochhob wie ein Hund, der den Mond angafft. Auch Emily, die nach dem sonderbaren Realitätsriß verängstigt aufs Deck gefallen war, drehte sich um und wollte sehen, was Renie und !Xabbu so in den Bann schlug.
    Die weiße Gestalt kreiselte langsam in der Luft, als hinge sie an einem Faden, und zappelte dabei aufgeregt.
    »Chingate!« rief sie aus. »Wase mach, alter Mann?« Renie erkannte die Stimme nicht, die kindlich hoch, heiser und erschrocken klang. »Eh, voll loco – wo ist ’ier? Block dich, viejo, das ist nicht Netz!« Die Figur fing an, heftiger um sich zu schlagen, und strampelte und fuchtelte dermaßen, daß es so aussah, als ob ein kleiner Stern direkt über dem Fluß zur Supernova werden wollte. »Ich will raus! Ich will raus, du mentiroso Saft…«
    Die weiße Gestalt verschwand. Wieder war der Himmel nur der Himmel, der Fluß nur der murmelnde Fluß.
    »Das war nicht Sellars«, sagte !Xabbu ein paar Sekunden später. Unter anderen Umständen hätte Renie gelacht, so banal und überflüssig war die Bemerkung, aber sie war genauso fassungslos wie er. Da fiel ihr Blick auf Azadors neben der Kajüte auftauchende nackte Schulter vorn im Schiff, und sie merkte, daß sie sein Feuerzeug in der Hand hielt. Sie umklammerte es so fest, daß ihr die Finger weh taten und sie eine Druckstelle in der Handfläche hatte.
    »He!« schrie er, »was machst du da?«
    Was ich mache? dachte sie konsterniert. Die Welt hatte sich gerade in Origami verwandelt, und er schnauzte sie an? Ihr Gehirn fühlte sich wie ein Automotor an, der Vollgas bekam, aber im Leerlauf war, als sie sich nach der leeren Stelle umsah, wo eben noch die weiße Gestalt geschwebt war.
    »Wenn …«, war alles, was !Xabbu noch sagen konnte. Dann brach erneut das Chaos aus.
    Diesmal behielt Renie keinen Standort, von dem aus sie das Geschehen verfolgen, keinen separaten Raum, in dem sie eine Beobachterin sein konnte. Diesmal fielen überall ringsumher und sogar in ihr drin Farbe, Form, Ton, Licht in sich zusammen. Noch ein kurzes, drohendes Rütteln, dann trat hart wie ein Peitschenschlag der totale Kollaps ein.
    Lange Sekunden im Leeren. Nicht grau, sondern leer. Nicht schwarz, sondern lichtlos. Gerade noch Zeit, sich zu erinnern, wer sie war, aber keine Zeit mehr, sich zu erinnern, wieso das wichtig sein könnte, dann explodierte alles, und das eben Eingestülpte stülpte sich fast augenblicklich wieder aus.
    Sie hatte Wasser im Mund, und auch sonst war überall kühles, schlammiges Flußwasser. Das Schiff war fort. Verzweifelt schlug sie um sich, bis es ihr gelang, an die Luft emporzukraulen, doch eine Hand war irgendwie gelähmt, zu einer arthritischen Faust verkrümmt. Sie wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte, denn wohin sie auch den Kopf drehte, klatschte ihr der Fluß ins Gesicht. Sie wollte schreien und mußte den nächsten Mundvoll Wasser schlucken.
    »Hier, Renie!«
    Mit versagender Kraft schwamm sie auf !Xabbus Stimme zu, fühlte, wie eine kleine Hand sie am Arm faßte und vorwärts zerrte, dann stieß sie an etwas Glattes und Winkliges und hakte sich mit dem Arm ein, bis sie sicher war, dem zweifachen Ziehen des Flusses, zur Seite und nach unten, standhalten zu können. Sie reckte den Kopf ein Stück übers Wasser, und sah neben sich die keuchende Emily. Das Mädchen klammerte sich an die Wurzeln desselben Baumes, eines toten Banyans oder etwas in der Art, der wie auf Storchenbeinen zur Hälfte im Wasser stand. !Xabbu saß weiter oben auf der Krümmung der Luftwurzel und blickte den Fluß hinunter.
    Renie drehte sich um und sah, was er sah. Das Schiff tuckerte weiter

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