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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nur kleine Bilder, wie aus der Geschichte von jemand anders, aus irgendeinem Dokumentarfilm. Meine Eltern rechneten nicht damit, daß ich jemals wieder zu mir selber finden würde, doch sie irrten sich. Langsam erholte ich mich. Es machte sie glücklich, auch wenn es mich nicht glücklich machte. Aber ich konnte nicht beim Zirkus bleiben – konnte nicht die Orte bereisen, an denen wir alle zusammen gewesen waren. Ich ging zuerst nach England, aber es war zu grau, zu alt, genau wie Österreich, die Leute mit ihren stillen, traurigen Gesichtern. Ich kam hierher. Ich wurde selber alt. Meine Eltern starben, meine Mutter erst vor wenigen Jahren. Und alles, was ich tue, tue ich für die Kinder.«
    Sie zuckte mit den Schultern. Die Geschichte war offensichtlich aus.
    »Es tut mir sehr leid«, sagte er.
    »Ich wollte, daß du das weißt«, erwiderte sie. »Es ist nur fair.«
    »Ich fürchte, das verstehe ich nicht ganz.«
    »Daß ich wahnsinnig war. Daß alle lange Zeit dachten, ich müßte für den Rest meines Lebens in einer Anstalt bleiben. Wenn du bei deinen Ermittlungen den Dingen nachgehst, die ich dir erzählt habe, solltest du wissen, daß die Information von einer Verrückten stammt, die in einer Anstalt war, deren einziger Lebensinhalt es ist, Kinder glücklich zu machen, weil sie ihr eigenes Kind hat sterben lassen.«
    »Du bist zu streng mit dir. Ich glaube nicht, daß du verrückt bist – ehrlich gesagt, wünschte ich, die meisten Leute, mit denen ich zu tun haben muß, wären bei so klarem Verstand wie du.«
    Sie lachte. »Vielleicht. Aber sag nicht hinterher, ich hätte dich nicht gewarnt. Wie ich sehe, bist du auf dem Sprung zu gehen. Ich sperre gerade noch Mischa ein, dann bringe ich dich zur Tür.«
    Während sie den jetzt wieder wachen und aufgebrachten Hund damit zu versöhnen suchte, ein paar Minuten in der Küche eingesperrt zu werden, stahl sich Ramsey zum Kaminsims, auf dem das umgedrehte Bild lag. Als er es anhob, betrachteten ihn die schwarzen Knopfaugen von Onkel Jingle mit hämischem Vergnügen.
    »Wirklich gräßlich, nicht wahr?« bemerkte sie, als sie wieder ins Zimmer trat. Er fuhr schuldbewußt zusammen und hätte ihr beinahe das Bild hingehalten wie ein Kind, das man mit der Hand in der Keksdose ertappt hat.
    »Ich wollte bloß…«
    »Ich will es nicht mehr sehen. Schlimm genug, innendrin sein zu müssen. Nimm es mit, wenn du willst.«
    Er lehnte höflich ab, aber als sie sich voneinander verabschiedet hatten und er sich auf der Fahrt durch die von Bäumen gesäumten Straßen an den richtigen Weg zurück zum Freeway zu erinnern suchte, war Onkel Jingle irgendwie neben ihm auf dem Sitz gelandet, wo er angelehnt stand und grinste wie eine Katze, die gerade in eine Volière eingebrochen ist.
     
     
    > Es lag, wie Yacoubian befriedigt feststellte, eine gewisse Spannung in der Luft.
    »Es ist ein Skandal«, sagte Ymona Dedoblanco und verzog dabei ärgerlich das Maul ihres Löwengöttinkopfes, daß die elfenbeinfarbenen Fänge blitzten. »Es zieht sich jetzt schon Wochen hin, und es funktioniert immer noch nicht richtig. Was ist, wenn irgendwas passiert?«
    »Passiert?« Osiris wandte ihr sein Gesicht zu, das unter seiner Maske wie immer nicht zu deuten war. Er wirkte jedoch langsam; Yacoubian meinte, eine Art Geistesabwesenheit bei dem Alten Mann zu bemerken. Wenn er ein gegnerischer General gewesen wäre – was er in gewisser Hinsicht auch war –, hätte Yacoubian gesagt, daß dieser Feind an der Fortsetzung des Kampfes nicht mehr interessiert war. »Was soll das heißen: ›wenn irgendwas passiert‹?«
    Die löwenköpfige Göttin konnte ihre Wut kaum bezähmen. »Was denkst du denn, was das heißen soll? Stell dich doch nicht dumm!«
    Das Ausbleiben einer deutlichen Reaktion auf diese Verletzung des Protokolls war unfaßbar; am ganzen Tisch blieben die ägyptischen Tiergesichter, mit denen Osiris seine Gäste maskierte, betont neutral, als ob sie diese Auseinandersetzung mit nichts weiter als höflichem Interesse beobachteten, aber Yacoubian wußte, daß eine Grenze überschritten worden war. Er blickte Wells an, um diesen kleinen Triumph mit ihm zu teilen, doch das gelbe Gottgesicht des Technokraten war so unergründlich wie das aller anderen.
    »Das soll heißen, was ist, wenn einer von uns stirbt?« fuhr die Löwengöttin fort. »Was ist, wenn irgendein Unfall passiert, solange wir uns alle untätig die Beine in den Bauch stehen müssen wie Bauern, die um Brot betteln?« Damit war die

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