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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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flußabwärts, und der Abstand zu ihnen, jetzt schon zwanzig bis dreißig Meter, vergrößerte sich rasch. Sie hob die Stimme und rief nach Azador, aber weder an Deck noch am Steuer war etwas von ihm zu erblicken. Ob er seinerseits im Fluß und womöglich ertrunken, ob er ganz woanders hinbefördert worden war oder ob er sich noch auf dem Schiff befand, es änderte nichts an der Situation. Der Schleppkahn verlangsamte nicht die Fahrt, steuerte nicht das Ufer an, sondern brummte einfach zwischen den Wänden des Waldes dahin, wurde kleiner und kleiner, bis er hinter einer Flußbiegung ihren Blicken entschwand.

 
Kapitel
     
Am Rand von Bobs Ozean
     
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    »Mißbrauch durch Ignoranz« — Tochter geht in die zweite Runde
    (Bild: das Ehepaar Hubbard weinend vor dem Gerichtsgebäude)
    Off-Stimme: Ein Termin ist jetzt für den zweiten Prozeß wegen Kindesmißbrauchs gegen Rudy und Violet Hubbard anberaumt worden, die von ihrer erwachsenen Tochter Halvah Mae Warringer beschuldigt werden, in ihrer Kindheit ein »Klima der Ignoranz« erzeugt zu haben, was den Tatbestand des Mißbrauchs erfülle. Warringer gibt an, daß sie aufgrund der Vorurteile und der Ignoranz ihrer Eltern sowie deren »hartnäckiger Weigerung, sich zu bessern«, ethnischer Intoleranz, mangelndem Gesundheitsbewußtsein und negativen Körperidealen ausgesetzt gewesen sei, mit nachteiligen Folgen für ihr Erwachsenenleben. Bei der ersten Verhandlung in Springfield, Missouri, sahen sich die Geschworenen außerstande, ein Urteil zu fällen …
     
     
    > Juniper Bay in Ontario erinnerte Decatur Ramsey an viele Kleinstädte, in denen er als Junge gewohnt hatte, weil sein Vater, der Feldwebel gewesen war, von einem Stützpunkt zum anderen versetzt worden war, erst mit seiner Frau, Caturs Mutters, schließlich ohne sie. Auf den ersten Blick hatte Juniper Bay die gleiche Flachheit wie die Orte seiner Kindheit, nicht bloß geographisch, sondern … Catur hangelte nach dem Wort, während er an einer Kreuzung hielt, wo eine junge Mutter noch unbedingt zwei kleine Kinder über die Straße lotsen mußte, obwohl die Ampel bereits auf Gelb umgesprungen war.
    Geistig, dachte er schließlich. Eine geistige Flachheit. Als ob das Innenleben der Stadt plattgedrückt worden wäre. Nicht ausradiert, sondern … verflacht.
    Die Stadt war größer als viele, die er als Kind gekannt hatte, aber wie die meisten davon – Eisenbahnstädte, durch die in den verkehrsreichsten Wochen gerade noch ein paar Güterzüge rollten, Fabrikstädte, in denen die Hälfte der Beschäftigten Feierschichten einlegen mußte – schien sie ihre beste Zeit hinter sich zu haben. Die jungen Leute, vermutete er, wanderten in aufregendere Städte ab, nach Toronto oder New York oder sogar in die Metropolis um D.C. herum, wo Ramsey mittlerweile zuhause war.
    Transparente mit Ankündigungen eines bevorstehenden Stadtjubiläums hingen über der Hauptstraße und flatterten in der steifen Brise. Ramsey beschlich ein leises Gefühl der Beschämung. Er konnte leicht Urteile abgeben, ein zum Großstadtleben bekehrter Snob in einem aberwitzig teuren Auto (ein Mietwagen, der sein Budget überstieg, aber diesen Luxus hatte er sich leisten wollen). Mußte man wirklich über eine Stadt die Nase rümpfen, nur weil ihre Aufschwungphase vorbei war, zumal wenn man sie mit dem brodelnden Chaos gegensätzlicher Interessen verglich, das eine moderne Großstadt darstellte? Wenigstens sahen sich die Leute hier hin und wieder auf der Straße, gingen vielleicht sogar noch in dieselbe Kirche, zu Elternversammlungen in der Schule ihrer Kinder. Wer sich im WashBaR-Metroplex auf eigenen Füßen den Bürgersteig entlangbewegte oder sich auch nur länger auf der Straße aufhielt, als unbedingt nötig, um vom Fahrzeug zur Tür zu hasten, gab sich damit als Obdachloser oder als potentieller Selbstmörder zu erkennen.
    Die Adresse, die er erhalten hatte, lag in einem kleinen Straßenlabyrinth hinter dem Geschäftsbezirk, einem alten Viertel mit ein- und zweistöckigen Holzhäusern, das im vorigen Jahrhundert der Wohnsitz junger akademischer Aufsteiger gewesen sein mußte. Jetzt lagen die Häuser und ihre altmodischen Gärten unter den breiten Hochbahngleisen, einem Schattenband, das wie eine waagerechte Sonnenuhr ein volles Viertel des Blocks abdunkelte. Er stellte sich vor, wie dieser große Zeiger jeden Tag mit der gleichen Pünktlichkeit wie die dort oben fahrenden Züge über die Fenster strich, und meinte erraten

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