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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schädelknochen ihm dröhnten und seine Haut sich straffte. Es ging ihm gut, sehr gut sogar. Er hatte einen Plan, einen noch sehr unfertigen Plan, doch selbst in seiner unausgereiften Form brannte er in ihm und ließ ihn vor Tatkraft vibrieren. In solchen Augenblicken hatte er das Gefühl, das einzige wahrhaft lebendige Wesen zu sein, das es gab.
    Die Jagd war gut gewesen – sehr, sehr gut. Das weißhaarige Geschöpf in der Flugwelt hatte sich genauso verhalten, wie er es von seiner Beute erwartete. Sie hatte geweint. Sie hatte gefleht. Sie hatte ihn verflucht und dann wieder geweint. Sie hatte sich bis zum allerletzten Moment gewehrt und dann seinen schwarzen Kuß mit einer gebrochenen, schmerztrunkenen Grazie geschehen lassen, die kein männliches Opfer, ob real oder virtuell, jemals erreichen konnte. Die Erinnerung strömte immer noch durch seine Adern wie das reinste Opiat, aber beeinträchtigte in keiner Weise die Erregung, in die seine keimenden Pläne ihn versetzten. Im Gegenteil, die Erinnerung an seine Überlegenheit erhöhte die Konzentration, war wie die kühle Hand des real Möglichen auf der fieberheißen Stirn der ersehnten Großmächtigkeit.
    Großmächtigkeit? Nein, sprich es aus, sag die Wahrheit – der Göttlichkeit. Denn genauso mußten sich die Götter fühlen, all diese schändenden, mordenden, Blitze schleudernden, die Gestalt wechselnden Bestien, die einst die Welt beherrscht hatten. Die Aboriginesagen seiner Mutter, die griechischen Mythen in den Schulbüchern, die zerfledderten Comichefte, die er in Anstalten und bei anderen Kindern zuhause gefunden hatte, alle Quellen waren sich einig: Die Götter waren mächtig und konnten sich daher alles nehmen, was sie haben wollten, alles tun, wozu sie Lust hatten. Ansonsten unterschieden sie sich durch nichts von den Menschen. Aber wo Menschen wünschten oder hofften oder neideten, gingen die Götter hin und nahmen und handelten.
    Na, den halben Weg zum Gottsein hatte er jetzt hinter sich, was? Der Rest konnte nicht allzu schwer sein.
     
    Dread schlüpfte in den Sim und lag eine Weile in der allgemeinen Dunkelheit, lauschte seinem eigenen Atem, fühlte die kalte Luft vom Höhleneingang hereinziehen. Ganz in der Nähe flüsterten Leute, vielleicht seine Gefährten oder ihre Wächter. Er ließ die Augen zu. Er hatte es nicht eilig. Unter den Mitgliedern ihrer kleinen Schar keimte inzwischen Verdacht, aber noch unterschwellig. Abgesehen von dieser prachtvollen Jagd hatte er durch nichts unnötig auf sich aufmerksam gemacht, und Dulcy schon gar nicht.
    Aber Dread fragte sich allmählich, ob das überhaupt noch eine Rolle spielte. Was hatte es für einen Wert, als einer dieser herumstolpernden Schwachköpfe zu gelten, wenn sie augenscheinlich nicht das geringste ausrichten konnten? Es gab hier zahllose Welten, jede millionenfach erregend, und sie hatten noch kaum eine richtig erforscht. Schlimmer noch, sie hatten nichts Brauchbares darüber herausbekommen, was der Alte Mann und seine Kollegen planten. Dread hatte sich hauptsächlich deswegen zu diesem entsetzlich gefährlichen Verrat entschlossen, weil er darin seine beste (und vielleicht einzige) Chance gewittert hatte, die qualvolle Auslöschung des alten Dreckskerls in die Wege zu leiten, aber es kam nichts dabei heraus.
    Er hatte sich so diszipliniert in Geduld geübt, daß er mit Sicherheit irgendwie, irgendwann dafür belohnt werden mußte. Aber nicht, wie ihm jetzt aufging, wenn er sich weiter mit diesen lahmarschigen Ochsen zusammenspannte. Mit Ausnahme dieser Martine schienen sie keinen Begriff von den Regeln zu haben, die diesem Netzwerk zugrunde lagen, kein Gefühl für seine Bewegungen, so wie er es hatte.
    Was also tun? Wie dem Geheimnis, das er im Herzen dieses künstlichen Universums witterte, näherkommen? Vielleicht wurde es Zeit, diese Schlappschwänze abzuservieren und in die Gänge zu kommen.
    Während er sinnierend im Dunkeln lag, wälzte sich die Gestalt neben ihm herum und tippte seine Schulter an. Dread war so weit weg gewesen, so eingesponnen in seine weitgreifenden, hochgemuten Phantasien, daß es eine Weile dauerte, bis ihm seine falsche Identität wieder einfiel, und er auch dann noch ein paar lange Sekunden brauchte, bis er erkannte, wer ihm da etwas zuraunte.
    »Bist du wach? Ich muß mit dir reden.« Die Stimme war ganz nahe an seinem Ohr. »Ich … ich habe gestern nacht jemand aus unserer Gruppe zurückkehren hören, lange nachdem wir uns schlafen gelegt hatten. Als

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