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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Zeiten gelebt, in denen er sich um wachsende Dinge kümmern und dabei erleben konnte, wie sie auf seine Pflege ansprachen – sich veränderten, ausformten, wurden. Sellars konnte sich kein treffenderes menschliches Bild für Gott denken als das eines Gärtners. Ja, insgeheim war er mehr als einverstanden damit, daß Gott einst dem Engel mit dem Flammenschwert befohlen hatte, das erste Menschenpaar zu verjagen, nachdem die beiden sich der Wohnstatt, die er ihnen bereitet hatte, als nicht würdig erwiesen hatten. In dem Maße, wie er sich mit dem Bild anfreunden konnte, glaubte Sellars, daß Adam und Eva nicht durch Erkenntnis verdorben worden waren, sondern durch falsch verstandene Erkenntnis: Irgendeine Kraft, ob schlangenhaft oder nicht, hatte sie zu der Meinung verleitet – zu der die Menschen immer noch neigten –, sie seien nicht einfach ein Teil des Gartens, sondern vielmehr seine Besitzer.
    Daß er in seinem Datenmodell manchmal einen Garten poetischer Formen sah, lag daran, daß Sellars nicht anders konnte, als alles, was ihm am Herzen lag, mit Poesie in Verbindung zu bringen. In seinen langen Jahren der Gefangenschaft hatte er zu Gedichten gegriffen, wie andere Gefangene ihr Heil in Drogen oder einer Glaubensgewißheit suchten, und er hatte alles, was er machte, und alles, was er dachte, in ihrem Geiste gestaltet. Er nahm die sich wandelnden Zustände des Gartens in sich auf, wie ein Haikuliebhaber sich in Gedichte über den Regen versenkte, und lauschte der lautlosen Stimme des Wachsens, wie ein anderer vielleicht den vollendeten Rhythmus eines fallenden Schlußverses nachfühlte. Wie bei jedem guten Gedicht war für Sellars das Leben des Gartens mehr Gefühls- als Gedankensache, aber wenn er doch einmal rational darüber nachdachte, war es wieder wie bei den besten Werken der Dichtkunst: Es kam mehr dabei heraus, als er sich hätte träumen lassen.
    Die amerikanische Dichterin Marianne Moore hatte einmal über die Pflichten von Dichtern geschrieben, sie sollten dem Leser »imaginäre Gärten mit echten Kröten drin« bieten – was Sellars so verstand, daß der Stoff der Kunst mit der Kunst des Stofflichen durchsäuert werden müsse.
    Doch jetzt hatte die Erforschung von Otherland seinen Garten poetischer Formen in etwas nahezu Unbegreifliches verwandelt – ein Chaos phantastischer Pflanzen, die beinahe weder Ende noch Anfang zu haben schienen, als ob die in dem Modell symbolisierte Information zu einem einzigen schwindelerregenden, unendlich komplexen, unendlich verflochtenen Ganzen zusammenwachsen wollte. Das Otherlandmodell stellte eine so raffinierte und dabei scheinbar so absurde Verschwörung dar, daß selbst ein völlig in Wahnvorstellungen verliebter Paranoiker nur einen Blick darauf werfen mußte, um sich sofort angeekelt wieder der Normalität zuzuwenden. Es bedrohte die ganze Welt, obwohl es einfach bloß verrückt wirkte.
    Sellars hatte allmählich den Eindruck, daß sein imaginärer Garten ein paar ordentliche Kröten gebrauchen könnte.
     
    Er starrte die jüngste Informationsdarstellung schon eine ganze Weile an, ohne sie wirklich zu sehen, wurde ihm auf einmal klar. Sein Körper bedeutete ihm wenig, aber es ließ sich nicht leugnen, daß die leibliche und sonstige Unbequemlichkeit seiner derzeitigen Lage sich auch auf sein Denken auswirkte. In den letzten Tagen war ihm das Aufwachen sehr schwer gefallen, und wenn er dann schließlich wach war, brauchte er lange, bis er klar denken konnte – bis er sehen konnte, was er sehen mußte. Er hatte gehofft, daß ihm das glückliche Zusammentreffen mit dem obdachlosen Jungen eine Ruhepause bescheren könnte, doch bis jetzt waren die Experimente mit Cho-Cho eklatant gescheitert.
    Die Präzision mechanischer Operationen erfüllte Sellars mit Neid. Manchmal schien es, als wäre es bestenfalls ein Hindernis, als organische Lebensform zu existieren. Obwohl er in der Nacht davor lange Stunden geschlafen hatte, fühlte er sich immer noch nicht ausgeruht, was die sich fortwährend wandelnden Muster im Garten aber nicht daran hinderte, nachdrücklich nach Pflege zu verlangen. Er tat sein Bestes, um die Erschöpfung und Enttäuschung der vergangenen Woche wegzuschieben.
    Eine Enttäuschung ließ sich nicht ignorieren, und jedesmal, wenn er sich an diesen metaphorischen Ort begab, machte sie ihm aufs neue zu schaffen. Die Leute in dem Otherlandnetzwerk, die er in Lebensgefahr gebracht und mit denen er in der Simulation der Atascos gesprochen hatte, waren

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