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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Geduld, als seine Gegner zu fassen vermochten, und war subtiler, als sie ihm je zugetraut hätten. Es war ein langes Spiel, das er spielte, und fast fünf Jahrzehnte scheinbarer Resignation hatten sogar die mißtrauischsten Beobachter eingelullt. Aber das Wesentliche war ihnen entgangen: Obwohl ihm vor kurzem die physische Flucht in sein Versteck gelungen war, das wie Edgar Allen Poes entwendeter Brief eigentlich völlig offensichtlich war – nur ein oder zwei Meter unter den Füßen der Männer, die auf ihn Jagd machten, in den nicht mehr benutzten Rohrleitungstunneln ihres eigenen Stützpunkts –, war er schon Jahre zuvor in die Informationssphäre entkommen. Und seit dem Moment, als ihm das erstmals geglückt und er aus der Haft seines verkrüppelten Körpers und seines Hausarrests in die Freiheit des Netzes entwichen war, hatte Sellars sich nie wieder als Gefangenen betrachtet.
     
    Er versenkte sich in sein System und rief dann seine Informationen auf wie ein Prospero, der eine Billion Ariels aus einer Billion gespaltener Fichten freisetzte. Ob nun seine Wächter recht gehabt hatten oder er – ob er wirklich oder nur dem Anschein nach ein Gefangener gewesen war –, sein leibhaftiges Verschwinden aus dem kleinen Haus und ihre sofortigen Nachforschungen waren ein notwendiger Schritt in seinem Kampf gewesen, der jetzt in seine schwierigste Phase eintrat. Im Gegensatz zu den Scharmützeln mit seinen überlisteten Wächtern war seine eigentliche Aufgabe von Anfang an nahezu hoffnungslos gewesen und drohte jede Minute zu scheitern. Doch Scheitern war keine Möglichkeit, die er in Betracht ziehen durfte: die Konsequenzen wären unvorstellbar schrecklich.
    Sellars fühlte, wie sich die Information jetzt dicht und gärend um ihn konzentrierte. Am Grunde seiner Gedanken, in potentiell unendliche An- und Aus-Muster vertieft, begann er, die jüngsten Veränderungen in seinem Informationsmodell zu untersuchen. Er hatte es zwar noch nie jemandem erzählt, aber er stellte es sich als seinen Garten vor.
    Zu Zeiten, in denen er glücklicher und optimistischer gewesen war als jetzt, hatte Sellars es sich sogar als einen Garten poetischer Formen vorgestellt.
     
    Sein Informationsmodell war ein Wuchern, ein Ringen, ein turbulenter, aber auf paradoxe Weise kontrollierter Austausch von Subtilitäten. Es machte den Anschein eines Dschungels, eines Ortes, wo Dinge wuchsen und rivalisierten, sich veränderten und anpaßten, wo Strategien spektakulär aufblühten und dann eingingen oder austrieben und überlebten oder schlicht die Feuchtigkeit des Datendaseins aufsogen und warteten.
    »Garten« war mehr als bloß ein Name dafür – Sellars hatte die Anzeiger wie Pflanzen gestaltet, obwohl wenige von ihnen Formen glichen, wie sie sich in einem Pflanzenführer fanden. Die virtuelle Flora wandelte sich mit den Informationen, die sie symbolisierte – je nach den Veränderungen in den Datenbankbeziehungen wechselte sie Gestalt und Verhalten.
    Der Garten stellte sich als eine große Kugel dar. Sellars’ körperloser Blickpunkt schwebte in der Mitte, wo er jederzeit sofort größere Wachstumsmuster erkennen oder sich die Dinge wie im Mikroskop nahe genug heranholen konnte, um einzelne Pollenkörnchen an einem symbolischen Staubgefäß zu zählen. Früher einmal hatte der Garten die ganze Vielfalt seiner Interessen umfaßt, all seine Beschäftigungen und Faszinationen, die Träume, denen er nur im Äther des Informationsraumes ungehindert nachgehen konnte. Jetzt waren diese anderen Funktionen auf einige wenige stellvertretende Bilder, einen unbedeutenden Bruchteil des Ganzen zusammengeschrumpft – eine Moosschicht von Infrastruktursteuerungsfunktionen, einige Schlingpflanzen, die diverse Telekommunikationsstrategien anzeigten, und hier und da die welkende Blume eines nicht mehr aktiv verfolgten, aber noch nicht endgültig fallengelassenen Projekts.
    Zur Zeit gab eine neue Flora im Garten den Ton an. Was vor Jahren als ein Ausstreuen neuer Sporen, ein phototropischer Zug bei einigen der bestehenden Datenpflanzen begonnen hatte, war mittlerweile zum beherrschenden Paradigma geworden. Wie widerstandsfähigere Arten eine empfindliche heimische Population be- und schließlich verdrängen konnten, so dominierte jetzt Otherland Sellars’ Garten Eden.
     
    Er hatte sich diese Form für sein Modell ausgesucht, weil er Gärten von jeher geliebt hatte.
    In seinen langen Jahren als Pilot, auf seinen weiten, einsamen Flügen, hatte er nur für die

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