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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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waren jetzt so nahe, daß er in den schwarzen Silhouetten Augen schimmern sah. Er blieb hilflos stehen, als eine davon ihm einen mächtigen Arm entgegenstreckte.
    »Herr Johnson? Sind Sie das?« Undine Pankie machte ein paar schwerfällige Schritte vorwärts in den Kerzenschein, den Saum ihres zeltartigen grauen Kleides hochgerafft, damit es nicht im Staub der Krypta schleifte. »Liebe Güte, er ist es. Sefton!« rief sie über die Schulter. »Hab ich’s dir nicht gesagt, daß wir den reizenden Herrn Johnson hier treffen würden?«
    Paul hatte das sichere Gefühl, wahnsinnig geworden zu sein.
    Ihr streichholzdünner Gatte erschien neben ihr, blinzelnd wie eine Eule am Tageslicht. »So ist es, mein Schatz. Einen wunderschönen guten Tag, Herr Johnson!« Es war, als hätten sie ihn bei einem Kirchenkränzchen getroffen.
    »Vielleicht hat er etwas von unserer Viola erfahren«, meinte Frau Pankie und bedachte Paul mit einem gewinnend gemeinten Lächeln, das unter anderen Umständen monströs und beängstigend gewesen wäre, aber in diesem Augenblick nur noch unfaßbar war. »Und wer ist dieser kleine Engel, den Sie da bei sich haben? Ein entzückender Knabe! Vielleicht machen Sie uns miteinander bekannt …«
    Gally versuchte wie wild, sich loszureißen – was mochte ihm jetzt wohl durch den Kopf gehen? –, und Paul war zu nichts anderem imstande, als eisern die Hand des Jungen festzuhalten und verständnislos zu glotzen. Die Pankies betrachteten ihn von Kopf bis Fuß, anscheinend von seinem Verhalten befremdet, dann wanderte Undine Pankies Kuhblick an ihm vorbei und fiel auf die große und die kleine Gestalt, die wie Spiegelbilder von ihr und Sefton auf sie zukamen. Sie verstummte mitten in ihrem Geschwafel, und ihr breites, teigiges Gesicht erbleichte. Sie wechselte einen raschen Blick mit ihrem bebrillten Ehemann, und auf beiden Gesichtern erschien ein Ausdruck, der Paul vollkommen rätselhaft war. Dann kehrten sie wie verabredet einander den Rücken zu und verzogen sich in das Dunkel zu beiden Seiten, so daß Paul jetzt freien Zugang zum Gateway hatte.
    »Schnell!« schrie Eleanora hinter ihm. »Der Weg ist frei. Wo willst du hin?«
    Paul zerrte an Gally, doch der war nicht vom Fleck zu bewegen.
    »Komm, Jonas«, zischte Finch hinter ihm. »Hör endlich auf mit diesem Spiel – es ist schon lange nicht mehr lustig.«
    Paul rangelte weiter mit Gally herum, der sich von blinder Furcht gepackt gegen ihn wehrte, die Augen halb geschlossen, als würde er gleich einen Anfall bekommen.
    »Wohin?« drängte Eleanora.
    Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. So sehr er sich anstrengte, ihm wollten nur amerikanische Ortsnamen einfallen, exotische, ausländische Namen, die in jungen Jahren seine Phantasie angestachelt hatten, aber die ihm jetzt, als wildes Durcheinander in seinem Kopf, zum Verhängnis werden konnten – Idaho, Illinois, Keokuk, Attica …
    »Ithaka!«
    Sie nickte und legte dann eine Hand an den Smaragd, den sie am Hals hängen hatte. Die Energien des Gateways lohten auf wie ein vom Wind bestrichenes Lagerfeuer. Dicht hinter ihr hatten Finch und Mullett ihre Masken abgenommen: Ihre wahren Gesichter blieben unter den düsteren Kapuzen verborgen, aber Paul erkannte Finchs blitzende Brille und Mulletts schiefes, zähnefletschendes Grinsen. Die von ihnen ausgehende Kraft machte seine Knochen schlapp wie Papierattrappen.
    Als die beiden Figuren nur noch eine Armlänge von Eleanora entfernt waren, kam Gally abrupt wieder zu Sinnen. »Sie werden der guten Frau was tun!« schrie er und schlug mit der Kraft eines Wahnsinnigen um sich, diesmal nicht, um sich gegen Pauls Ziehen zu wehren, sondern um der Frau, die er als seine Freundin betrachtete, zur Hilfe zu eilen. »Sie werden sie umbringen!«
    »Gally, nicht!« Paul versuchte ihn fester zu packen – ihm war, als würden ihm die Fingernägel abbrechen –, aber in dem Sekundenbruchteil, in dem er seinen Griff lockerte, riß sich der Junge los und stürzte zu Eleanoras in der Luft schwebendem Bild zurück.
    »Nicht, Mohrchen!« rief sie. »Sie können mich nicht einmal…«
    Die beiden traten durch sie hindurch.
    »… anrühren«, beendete sie ihren Satz im Ton tiefsten Jammers. »Ach, Mohrchen…«
    Mullett faßte mit einer breiten, formlosen Hand zu und hob den Jungen hoch. Gally baumelte hilflos in der Faust des dicken Monstrums und zappelte wie eine Fliege im Netz.
    Paul blieb stehen. Nur wenige Schritte trennten ihn von dem wärmelosen goldenen Strahlen des

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