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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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um. »Da drüben!«
    Renie warf die Tür hinter ihm zu und zog den Stachel aus ihrem Gürtel. Sie stieß ihn durch die Türgriffe, wobei ihr klar war, daß er nur ein Strohhalm in einem Orkan war, und sprintete dann hinter den beiden her auf eine Windschutzmauer zu, die das graue Dach zur Hälfte abteilte und verbarg, was auf der anderen Seite war. »Bist du sicher, daß es da ist?« schrie sie. Cullen sagte nichts, sondern rannte nur, was er konnte. Wie zur Antwort gab es hinter ihr einen Knall. Der Stachel schoß an ihr vorbei und hüpfte über das Dach, gefolgt von dem knirschenden Geräusch eines weiteren wegbrechenden Türrahmens.
    Als sie an der Windschutzmauer ankamen, hörte sie, wie die Tür gesprengt wurde. Trotz der überwältigenden Angst war Renie auch wütend. Wie konnte ein Insekt dermaßen stur sein? Warum hatte es nicht schon längst aufgegeben? Bestimmt hätte sich eine wirkliche Gottesanbeterin in der wirklichen Welt nicht so monsterfilmmäßig benommen. Sie hatte halb den Verdacht, daß Kunohara daran schuld war, daß er irgendeine schreckliche Rache an denjenigen, die die Macht der Natur ignorierten, in seine Simulation eingebaut hatte.
    Auf der anderen Seite der Mauer, wo sich das Panorama des hoch aufragenden überdimensionalen Waldes auftat, war Cullen bereits dabei, die Plane von einem rundlichen Gebilde zu zerren, das nicht viel größer war als ein Minibus. Renie und !Xabbu packten jeder an einer Ecke an und zogen; die Abdeckung glitt weg, und zum Vorschein kam eine braun-gelb-schwarze Lackfläche – ein sechsbeiniges Monstrum von der Form eines Sonnenblumenkerns.
    »Schon wieder so ein verdammtes Insekt!«
    »Ein Semiotus-Käfer. Alle unsere Beförderungsmittel sehen wie Insekten aus.« Cullen schüttelte traurig den Kopf. »Angela hat’s wohl nicht mehr geschafft, wie es aussieht.« Er legte den Daumen auf das Entriegelungsfeld, und die Tür ging auf. Der Entomologe zog die Treppe herunter, und Renie kraxelte in das kompakte Cockpit.
    Als !Xabbu sich hinter ihr hochschwang, legte sich ein Schatten über sie alle. Renie wirbelte herum und sah die Gottesanbeterin um die Windschutzmauer kommen; ihre mächtigen Beine gingen mit der schrecklichen Präzision von Nähmaschinennadeln auf und nieder, und ihr herumschwenkender Kopf ragte hoch über den Käfer hinaus. Cullen erstarrte am Fuß der Leiter, als der große Kopf sich zu ihm hinabsenkte. In diesem unwirklichen, zeitlosen Augenblick konnte Renie die Luft durch die Atemöffnungen an der Seite der Bestie zischen hören.
    »Das Spray«, versuchte sie zu rufen, doch der vom Entsetzen zusammengeschnürten Kehle entwich nur ein leiser Hauch. Dann fand sie ihre Stimme wieder. »Cullen, das Spray!«
    Er trat steif einen Schritt zurück und wühlte in seiner Tasche. Der Kopf neigte sich leicht und glitt wie auf geölten Lagern in seine Richtung. Die großen sensenartigen Arme gingen hoch und wurden beiderseits von ihm mit furchtbarer Bestimmtheit ausgefahren, bis ein Ende mit einem leisen metallischen Ping an die Seite des Flugzeugs stieß. Cullen hob mit zitternder Hand die Sprühdose hoch und spritzte eine volle Ladung in das ausdruckslose dreieckige Gesicht.
    Die Szene explodierte.
    Mit einem Zischen wie ein Dampfkompressor prallte die Gottesanbeterin zurück. Die Arme zuckten beim Einziehen nach unten und schleuderten Cullen zu Boden, dann taumelte das Ungetüm mehrere Schritte zurück und hackte dabei durch die Luft, rieb sich die geblendeten Augen.
    Renie sah, wie !Xabbu wieder zu Boden hüpfte und Cullen am Kragen packte; der Arm des Entomologen blieb auf dem Dach liegen, wie in einem unachtsamen Augenblick weggeworfen, immer noch in den Jumpsuitärmel gehüllt, der jetzt an einem Ende ausgefranst war und aufklaffte.
    »Du bist gar nicht Großvater Mantis!« kreischte !Xabbu das Monster an, während er sich anstrengte, den Verletzten wegzuzerren. »Du bist nur ein Ding!«
    Renie, die in diesem ganzen Albtraum nur noch rein instinktiv handeln konnte, kletterte hinunter, um mit anzufassen; während die Gottesanbeterin sich über ihnen in Krämpfen wand, beförderten sie Cullen ins Flugzeug und schlossen die Tür. Durch das Seitenfenster konnte Renie ihre Verfolgerin sehen, die zwar immer noch wie ein kaputtes Spielzeug vor sich hinschnarrte, aber sich mit jeder Sekunde von dem Gift erholte.
    Wo Cullens Arm gewesen war, war kein Blut zu sehen. Sie drückte den Stumpf dennoch nach Kräften ab, ohne recht zu wissen, welche Erstehilferegeln man

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