Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
bei beinahe tödlichen virtuellen Verletzungen beachten mußte, und schrie: »Wie bringen wir dieses Ding zum Fliegen?«
Cullens Augen öffneten sich zitternd. »Es … tut weh«, sagte er atemlos. »Wie kann das weh tun …?«
»Wie fliegen wir dieses verdammte Flugzeug? Das Vieh kommt zurück!«
In keuchend hervorgestoßenen Silben erklärte Cullen es ihr, dann wurde er ohnmächtig. Sie überließ es !Xabbu , nach einem Verband für die Wunde zu suchen, und drückte die Knöpfe, die er ihr genannt hatte, in der, wie sie hoffte, richtigen Reihenfolge. Das ganze Flugzeug bebte, als die Flügel sich unter den Deckflügeln hervordrehten und dann abrupt loszuschwirren begannen. Renie schaffte es, die Beine so zu bewegen, daß der Kopf des Fliegers sich von der Mauer weg nach außen drehte, zum Rand des Gebäudes hin. Noch während der Käfer wendete, stieg die vogelscheuchenartige Gestalt der Gottesanbeterin vor der Windschutzscheibe auf und grapschte nach ihnen.
Renie sprach still ein Stoßgebet, riß am Handrad und gab soviel Gas, wie sie konnte. Der Käfer machte einen Satz, der !Xabbu und Cullen gegen die gepolsterte Kabinenwand schleuderte und Renie fast von ihrem Pilotensitz warf, und entkam mit einem steilen Aufwärtsschwung ganz knapp dem letzten dolchstoßartigen Hieb der Gottesanbeterin.
Binnen kurzem lagen die zertrümmerten Überreste des Stocks weit unter ihnen. Renie zog ein paarmal am Handrad, wodurch sie einmal zu einem beängstigenden Sturzflug ansetzte, bis ihr das beabsichtigte Manöver schließlich gelang. Sie beschrieben eine Kurve und flogen dann in den Wald der riesigen Bäume hinein, der sinkenden Sonne entgegen.
»Das war nicht Großvater Mantis«, sagte !Xabbu ernst hinter ihr. »Ich habe mich vergessen – ich schäme mich.«
Renie begann zu zittern, und einen Moment lang fürchtete sie, es würde nicht mehr aufhören. »Insekten«, sagte sie, am ganzen Leib bibbernd. »Gütiger Himmel.«
Kapitel
Im Kampf mit Ungeheuern
NETFEED/LEUTE VON HEUTE:
»Einer, dem’s reicht« ist tot
(Bild: Gómez beantwortet Reporterfragen vor dem Gerichtsgebäude)
Off-Stimme: Nestor Gómez, der sich selbst vor Gericht als »bloß einer, dem’s reicht« bezeichnete, verschied im Alter von 98 Jahren in einer Sterbeklinik in Mexico City. Der ehemalige Fabrikarbeiter, der bereits über sechzig und Rentner war, als er zu Ruhm gelangte, wurde von vielen als Held gefeiert, nachdem er an einer Raststätte außerhalb von Juárez in Mexiko einen Wagen voll junger Männer mit einem Maschinengewehr beschossen hatte. Er gab an, die Jugendlichen hätten ihn schikaniert.
(Bild: verkohltes Autowrack)
Noch umstrittener als die zum Teil tödlichen Schüsse war die Behauptung eines Augenzeugen, Gómez habe das Auto angezündet, obwohl einige der verwundeten Opfer noch am Leben gewesen seien. Bei seinem Prozeß in Mexico City konnten sich die Geschworenen nicht einigen. Auch bei zwei anschließenden Verfahren konnte kein Urteil erzielt werden. Gómez wurde nie in den USA vor Gericht gestellt, obwohl alle fünf Opfer US-amerikanische Staatsbürger waren.
(Bild: Gómez bei der Begrüßung am Flughafen in Buenos Aires)
Noch Jahre nach dem Vorfall trat er als prominenter Redner bei Veranstaltungen von Verbrechensbekämpfungsgruppen in vielen Ländern auf, und der Ausdruck »den Gómez machen« wurde gleichbedeutend mit gewalttätigen und selbst maßlosen Vergeltungsaktionen …
> »Irgendwie scännig«, sagte Fredericks und rekelte sich im Schatten eines Grashalmes. »Klar, ich weiß, daß wir nichts essen müssen und so, aber ein Morgen ohne Frühstück ist einfach nichts.«
Orlando, dem es ungleich viel besser ging als während des schlimmen Fiebers, zuckte mit den Achseln. »Vielleicht gibt’s irgendwo flußabwärts ein Café. Oder ’ne Puffreisplantage.«
»Seid bloß still«, grummelte Sweet William. »Kein Kaffee, keine Lullen – das sind Zigaretten, falls ihr artigen Yankeejungs den Ausdruck nicht kennt –, das ist die Hölle, drin bin ich, nicht draußen, wie irgend so ein Shakespearetyp mal sagte.«
Orlando mußte bei dem Gedanken grinsen, was William wohl sagen würde, wenn er wüßte, daß einer der Yankeejungs in Wirklichkeit ein Mädchen war. Aber apropos, woher wollten sie wissen, daß Sweet William nicht selber ein Mädchen war? Oder Florimel ein Junge?
»Was machen wir jetzt?« fragte Quan Li. »Wo sollen wir hin? Sollten wir nicht nach den anderen suchen?«
»Wir können
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