Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
wenig verstehen, wie man darin schwimmt.«
»Ho-dsang!« sagte Fredericks mit einer langen, tiefen Ausatmung. »Aber auch trans scännig.«
»Du bist also sicher, daß Renie und der Pavianmann noch am Leben sind?« fragte Orlando.
»Ich kann … ja, ich nehme sie wahr. Schwach, wie einen sehr weit entfernten Ton. Ich glaube nicht, daß sie in der Nähe sind, oder vielleicht spüre ich auch nur einen … Rückstand.« Ihr Gesicht wurde wieder traurig und erschlaffte. »Vielleicht war ich zu voreilig. Vielleicht sind sie fort, und ich spüre nur, wo sie einmal waren.«
»Das heißt, du kannst uns … womit auseinanderhalten, mit Sonar?« Florimel klang gereizt, vielleicht auch ein bißchen bang. »Was weißt du sonst noch über uns? Kannst du unsere Gedanken lesen, Martine?«
Die blinde Frau spreizte die Hände, wie um einen Schlag abzuwehren. »Bitte! Ich weiß nur, was ich fühle. Was wirklich in euren Gedanken vorgeht, kann ich nicht besser erkennen als eine, die euch ins Gesicht schaut oder eure Stimme hört.«
»Du kannst dich also abregen, Flossie«, sagte Sweet William grinsend.
»Ich heiße nicht ›Flossie‹.« Der Blick auf ihrem virtuellen Gesicht hätte Milch zum Gerinnen gebracht. »Wenn das ein Witz sein soll, ist er schlecht.«
»Aber wer bist du?« fragte Orlando. »Wer seid ihr alle?« Die anderen wandten sich ihm zu. »Ich meine damit, daß ich immer noch nicht weiß, wer ihr alle seid. Wir müssen einander vertrauen, aber wir wissen nicht das geringste über die Leute, denen wir vertrauen sollen.«
Jetzt war es an William, böse zu werden. »Wir müssen gar nichts. Ich jedenfalls beabsichtige nicht, aus diesem Faschingsscherz einen Beruf zu machen, und es ist mir ziemlich schnurz, mit was für trostlosen Scheußlichkeiten ihr vorher eure freie Zeit rumgebracht habt.«
»Nein, nicht«, sagte Orlando. »Hört zu, ich erzähle euch, wer ich wirklich bin. Ich heiße Orlando Gardiner. Ich bin fünfzehn.«
»Erst in drei Monaten«, warf Fredericks ein.
»Noch ein Teenager? So eine Überraschung aber auch.« William verdrehte die Augen.
»Seid still. Ich versuche was zu sagen.« Orlando holte tief Luft und nahm sich zusammen. »Ich bin fast fünfzehn. Ich habe Progerie. Das ist eine Krankheit, und ich werde ziemlich bald daran sterben.« Wie bei seinem Geständnis vor Fredericks verspürte er ein gewisses Hochgefühl, das kalte Platschen des lange gefürchteten Sprungs vom Zehnmeterbrett. »Verschont mich bitte mit euerm Mitleid, darauf kommt’s jetzt nicht an.« William zog eine Braue hoch, hielt aber den Mund; Orlando redete rasch weiter. »Also, ich habe Jahre im Netz mit allen möglichen Spielen verbracht, und darin bin ich wirklich gut. Und aus irgendeinem Grund bin ich in diese Sache reingeschliddert, und ich kenne niemanden, der deswegen erkrankt ist, aber ich stecke da jetzt einfach drin, und … und es ist mir wichtiger, als jemals sonst etwas war.«
Mit seiner Rede am Ende, fühlte er, daß seine wirkliche Haut ganz heiß geworden war, und hoffte, daß das Erröten auf seinem virtuellen Gesicht nicht zu sehen war. Niemand sagte etwas.
»Ich heiße Sam Fredericks«, brach sein Freund schließlich das unbehagliche Schweigen. »Und ich bin auch fünfzehn – aber ich bin wirklich fünfzehn.« Fredericks lächelte Orlando geradezu schüchtern an. »Ich bin hier, weil Gardiner mich mit hergebracht hat. Aber ich sitze genauso fest, wie wenn ich hier wäre, um jemand zu retten. Fen-fen, ich denke, ich bin hier, um jemand zu retten. Mich. Uns.«
Orlando revanchierte sich nicht für die peinliche Korrektur seiner Altersangabe und ließ Fredericks’ Geheimnis unaufgedeckt. Er – oder sie – mochte seinetwegen das Gesicht zeigen, das er zeigen wollte, genau wie alle anderen.
»Und ich bin Martine Desroubins«, sagte die blinde Frau. »Ich bin eine Rechercheurin. Blind bin ich seit meinem achten Lebensjahr. Ein Unfall. Ich lebe allein, und zwar im Haut-Languedoc im südlichen Teil von Frankreich, in der Nähe von Toulouse. Ich bin mit Renie und !Xabbu gekommen und mit Murat Sagar Singh, der ums Leben kam, als wir in das Otherlandnetzwerk eintraten.« Sie nickte mit dem Kopf, wie um einen Schlußpunkt hinter die trockene Aufzählung zu setzen.
Orlando hörte die Leerstellen in dem, was sie sagte, aber fragte auch diesmal nicht nach.
»Jetzt scännt’s transmäßig, äi.« T4b hatte die Arme vor seiner stacheligen Brust verschränkt. »Für wasn dir meine Id sagen? Für zum Netzbulle
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