Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
unwillkürlich über seine hyperkorrekte Redeweise schmunzeln, doch statt der erwarteten Fragen über ihre Begegnungen mit der Göttin Ma’at oder ihr erstes Zusammentreffen mit Sellars schien sich der Mann, der sich Nandi nannte, in erster Linie dafür zu interessieren, wie sie in die Simwelten, die sie besucht hatten, hinein- und wieder hinausgekommen waren. Orlando hatte zum Teil nur recht vage Erinnerungen daran – die Erkenntnis, wie häufig er krank gewesen war, erschreckte ihn richtig –, aber Fredericks half ihm bei den problematischen Stellen.
»Wieso interessierst du dich so für dieses Zeug?« erkundigte sich Orlando schließlich. »Wo kommst du überhaupt her?«
»Ich habe mich in vielen Teilen des Netzwerks aufgehalten«, sagte Paradivasch ohne eine Spur von Wichtigtuerei. »Zuletzt bin ich aus einer von Felix Jongleurs Simulationen geflohen, wobei ich allerdings, offen gestanden, mehr Glück als Verstand hatte.« Er lächelte. »Ich war als Gefangener in Xanadu, aber eine Art Erdbeben löste unter den abergläubischen Wachen Kublai Khans einen Aufstand aus, und da der Khan selbst nicht zugegen war, gerieten die Unruhen außer Kontrolle.« Er zuckte mit den Achseln. »Aber das spielt keine Rolle. Wichtig ist, daß wir zwei, vielleicht sogar drei wesentliche Punkte falsch gesehen haben, und noch mehr Fehler können wir vom Kreis uns nicht leisten.«
Der junge Mann namens Wassili hob den Kopf. »Du solltest auf Gott vertrauen, mein Freund. Er wacht über uns. Er leitet uns. Er wird dafür sorgen, daß seine Feinde zuschanden werden.«
Nandi Paradivasch lächelte matt. »Das mag schon sein, Wertester, aber es war ihm noch nie unlieb, wenn seine treuen Diener sich selbst zu helfen versuchten, und ebenso gewiß mußten manche, die untätig auf Gottes rettendes Eingreifen warteten, zu ihrem Leidwesen feststellen, daß sie weitaus weniger im Mittelpunkt seines Plans standen, als sie gemeint hatten.«
»Das grenzt an Blasphemie«, murrte Wassili.
»Schluß jetzt.« Bonnie Mae Simpkins wandte sich gegen den jungen Mann wie eine knurrige Bärenmutter. »Du hältst jetzt mal ein Weilchen den Mund, dann kommst du an die Reihe. Ich möchte hören, was Herr Paradivasch zu sagen hat.«
»Folgendes.« Paradivasch starrte auf die über und über beschriebene Fliese. »Als die Gralsbruderschaft vor ein paar Wochen das System dichtmachte, nahmen wir an, dies wäre der letzte Schritt – sie hätten ihr geplantes Vorhaben abgeschlossen und wollten jetzt die Früchte ernten. Das war eine naheliegende Vermutung. Sie allein konnten frei mit dem System schalten und walten, während andere Benutzer ausgeschlossen waren oder, falls sie sich bereits drinnen befanden wie unsere Brüder und Schwestern vom Kreis, online festsaßen. Aber wie es aussieht, ist die Gralsbruderschaft doch noch nicht soweit. Ein wesentlicher Teil ihres Plans ist noch nicht verwirklicht, aber wir kennen davon nicht mehr als das Kennwort ›die Zeremonie‹.«
»Diese Gralstypen müssen jahrhundertelang im Palast der Schatten rumgespukt haben oder so«, flüsterte Fredericks Orlando zu, eine Anspielung auf ein besonders melodramatisches Eckchen in ihrer alten Simwelt Mittland. »Ziehen überall den vollen Grusel ab.«
Orlando strengte sich an, seiner Müdigkeit Herr zu werden. Das klang nach handfesten Informationen, den ersten seit langem. »Du hast von zwei wesentlichen Punkten geredet. Nein, drei. Was sind die andern?«
Paradivasch nickte. »Einer ist das Auftreten von diesem Sellars. Er ist niemand, den wir persönlich kennen, und ich habe noch nie zuvor von ihm gehört, jedenfalls nicht unter diesem Namen. Das ist merkwürdig – jemand, der vorgibt, gegen die Gralsbruderschaft zu arbeiten, und soviel Zeit und Energie in dieses Projekt steckt, ohne Kontakt mit Dem Kreis aufzunehmen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
»Willst du sagen, er wär’n Dupper?« Fredericks klang empört wie schon länger nicht mehr. »Bloß weil er das Spiel nicht so spielt, wie er’s deiner Meinung nach müßte?«
Der ältere Mann namens Pingalap meldete sich unwillig. »Wer sind diese jungen Leute, diese Fremden, daß sie hierherkommen und unser Tun anzweifeln?«
Nandi Paradivasch ignorierte seinen Bruder, aber hielt Fredericks’ trotzigen Blick eine ganze Weile. »Wie gesagt, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber es beunruhigt mich.«
»Nummer drei?« hakte Orlando nach. »Der dritte Fehler?«
»Ah ja. Der wird sich
Weitere Kostenlose Bücher