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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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immer noch unauffindbar war.
    So viele, die Hilfe brauchen, dachte sie bitter, und wir haben noch keinem einzigen geholfen.
    Renie strich sich unwillkürlich über die Lider und mußte an ihr wirkliches Gesicht unter der Blasenmaske im V-Tank denken. Ob sie Schlafkrusten in den Augenwinkeln hatte? Sammelten sie sich an den Innenrändern der Maske wie Abraum vor einem Bergwerk? Es war ein widerlicher Gedanke, aber eigentümlich faszinierend. Sie konnte sich den eigenen Körper mittlerweile kaum anders denn als etwas vollkommen von ihr Abgetrenntes vorstellen, obwohl er den Befehlen ihrer Nervenzentren gehorchen mußte, Beugungen durchführte, wenn sie ihre virtuellen Gelenke beugte, um etwas aufzuheben, und sich in der Wanne mit plasmodalem Gel abstrampelte, wenn sie im Geiste durch die Insektendschungel oder über die Güterbahnhöfe des Otherlandnetzwerks rannte. Es tat ihr leid um ihren Körper. Er kam ihr vor wie ausrangiert, ein altes Spielzeug, das einem Kind langweilig geworden war.
    Sie schüttelte die bedrückenden Gedanken ab, setzte sich auf und versuchte sich zu erinnern, in welchem der zahllosen Räume des gigantischen Hauses sie gelandet war. Sie kam erst darauf, nachdem sie eine Weile das karge, funktionale Mobiliar betrachtet hatte, den langen Tisch mit den Dutzenden von Stühlen und die in Nischen in der Wand stehenden Ikonen, jede von einer Kerze beleuchtet.
    Die Bibliotheksbrüder. Ihr Gemeinschaftsspeisesaal oder wie sie ihn sonst nennen.
    Bruder Epistulus Tertius war über das Verschwinden ihrer Gefährtin entsetzt gewesen, obwohl er an eine Entführung nicht recht glauben mochte – in dieser abgeschlossenen, halbfeudalen Gesellschaft wahrscheinlich kein sehr häufiges Vorkommnis. Er hatte mehrere seiner Brüder als Helfer bei der Durchsuchung des Bibliotheksbereichs zusammengetrommelt und einen anderen mit dem Auftrag losgeschickt, Bruder Custodis Major um ein Gespräch in der Angelegenheit des Abstaubemönches zu bitten, den Renie in Verdacht hatte, ihr verkleideter Feind gewesen zu sein. Epistulus Tertius hatte auch freundlich darauf bestanden, daß Renie und die anderen Besucher das Bibliothekskloster als Operationsbasis benutzten.
    Renie bemühte sich, das Problem klar ins Auge zu fassen. Mit jeder Minute, die Martine in den Händen des Mörders war, wuchs die Gefahr. Sie beäugte Emily und fragte sich, warum der Quan-Li-Sim nicht sie anstelle von Martine in seine Gewalt gebracht hatte, so wie vorher in der unfertigen Simulation. Mangels Gelegenheit, oder lag darin eine bestimmte Absicht? Konnte das bedeuten, daß die Bestie Martine unter Umständen am Leben lassen wollte?
    Draußen auf dem Flur war Schrittegetrappel zu hören. T4b schreckte auf und gab einen schlaftrunkenen Fragelaut von sich, als Florimel und !Xabbu eintraten.
    »Irgendwas Neues?« Renie war erleichtert, daß sie wohlbehalten zurück waren, aber Haltung und Ausdruck sagten ihr bereits, was Florimels Kopfschütteln bestätigte. »Verdammt! Wir müssen doch irgendwas tun können – sie können unmöglich spurlos verschwunden sein.«
    »An so einem Ort?« fragte Florimel düster. »Mit Tausenden von Zimmern? Ich fürchte, daß das sehr wohl möglich ist.«
    »Der junge Mönch möchte, daß wir alle in die … wie war noch das Wort?« !Xabbu legte die Stirn in Falten. »Abtsgemächer. Daß wir in die Abtsgemächer kommen. Er machte einen sehr besorgten Eindruck.«
    »Bruder Epistulus Tertius«, sagte Florimel. »Mein Gott, was für ein Bandwurm! Wir wär’s, wenn wir ihn einfach ›E3‹ nennen – unser Freund da drüben könnte ihn zum Goggleboy ehrenhalber befördern.«
    Renie lächelte höflich und warf einen Blick auf T4b, der sich schläfrig das Gesicht rieb. »Wir müssen jedes Hilfsangebot annehmen«, erklärte sie, während Emily, die genauso zerschlagen wie T4b aussah, sich aufrichtete. »Sollen wir alle hingehen?«
    »Können wir es wagen, uns zu trennen?« fragte Florimel zurück.
     
    Obwohl das Zimmer mehr als groß war, schien es den Abt der Großen Bibliothek kaum fassen zu können, einen schwergewichtigen Mann mit kleinen scharfen Äuglein und einem liebenswürdigen Lächeln, das mit erstaunlicher Raschheit in seinem feisten Gesicht aufleuchtete. Aber so herzlich das Lächeln auch war, nachdem er sie begrüßt und Renie und Florimel an seinen kolossalen Schreibtisch herangewunken hatte – die anderen setzten sich auf eine Bank neben der Tür –, hatte der Mann, den die übrigen Mönche ehrerbietig mit

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