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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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aus T4bs stinktierähnlich gestreiften Haaren imaginäre Läuse klaubte, sehr zum Verdruß des Goggleboys und zur Erheiterung des Mädchens.
    »Wenn wir schon warten müssen«, sagte Renie, »könnt ihr uns dann wenigstens was über diesen Ort hier erzählen? Wie groß ist er? Er scheint riesig zu sein.«
    Der Abt sah auf und lächelte. »Die Bibliothek? O ja, ich denke schon, daß sie groß ist, obwohl es ansonsten nur noch zwei wallfahrtsgünstig gelegene Bibliotheken gibt, so daß wir kaum Vergleichsmöglichkeiten haben.«
    »Nein, ich meine das Haus selbst.« Renie fiel das Dächermeer wieder ein. »Nach dem, was ich gesehen habe, ist es so ausgedehnt wie eine ganze Stadt. Wie groß ist es?«
    Der Abt richtete den Blick auf Bruder Custodis Major, dann wieder auf sie. »Stadt? Ich verstehe nicht.«
    »Laß gut sein, Renie«, schaltete sich Florimel ein. »Ist doch egal.«
    »Wie weit von hier bis dort, wo es aufhört?« fragte Renie den Abt. Bis zur nächsten Gelegenheit, hier mit jemandem ein normales Gespräch zu führen, konnte es lange dauern. »Wo kein Haus mehr ist?«
    »Ach so.« Der dicke Mann nickte langsam. »Ich verstehe. Du bist in religiösen Fragen nicht ganz unbewandert, könnte das sein? Oder kursieren in dem Teil des Hauses, wo ihr herkommt, Legenden über solche Dinge? Natürlich weiß niemand, was jenseits des Hauses ist, weil noch nie jemand dort gewesen und zurückgekehrt ist, um Bericht zu erstatten, genau wie noch nie jemand über die Schwelle des Todes zurückgekommen ist und berichtet hat, was er dort vorfand. Diejenigen, die an die Madonna der Fenster glauben, würden mir freilich in beiden Punkten widersprechen, aber das Haus ist voll von sonderbaren Ideen und Kulten. Wir vom Bibliotheksorden halten uns strikt an die Tatsachen.«
    »Es hat also kein Ende? Gar keins? Dieses … Haus geht einfach endlos immer weiter?«
    »Gewiß gibt es welche, die sagen, daß die Baumeister irgendwo dort draußen immer noch am Werk sind.« Der Abt breitete die Hände aus wie zum Eingeständnis einer unangenehmen Wahrheit. »Sie glauben, daß sich in unvorstellbarer Ferne ein Ort finden muß, der … tja, der Nichthaus ist, anders kann ich es nicht ausdrücken. Daß dort am äußersten Rand alles Seienden die Baumeister immer noch am Bauen sind. Aber die Baumeisterkulte sind zu meinen Lebzeiten deutlich zurückgegangen – eine lange Periode des Friedens und Wohlstands hat wohl diese Auswirkung.«
    Bevor Renie sich auch nur annähernd mit der Vorstellung eines Hauses vertraut machen konnte, das eine ganze Welt war – das buchstäblich keine Grenze, kein Ende hatte –, kam der lange, dürre Bruder Factum Quintus wieder ins Zimmer spaziert, diesmal den Arm voller Papier- und Pergamentrollen, deren Enden in alle Richtungen abstanden, so daß er wie ein Seeigel auf Stelzen aussah.
    »… Wirklich sehr interessant, wenn man’s genauer betrachtet«, sagte er gerade, als hätte es in dem vorangegangenen Gespräch nie eine Unterbrechung gegeben. »Unsere Forschungen im Sanctum Factorum beschäftigen sich überwiegend mit der ursprünglichen Bautätigkeit – den Reparaturarbeiten, die ganz eigene und nicht minder faszinierende Stile haben, wurde bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Natürlich gibt es über einige Renovierungen Unterlagen, aber viel zu wenige.« Da die Rollen ihm die Sicht nahmen, stieß er gegen den Schreibtisch des Abtes und kam dort zum Stillstand wie ein Stück Treibgut an der Hafenmauer. »Doch, doch. Hierüber sollte einmal eine Monographie verfaßt werden, das wäre ein großer Beitrag zur Beförderung der Wissenschaft«, fuhr er fort, obwohl er mit Sicherheit niemanden im Raum sehen konnte, aber er hatte diese Überlegungen offensichtlich schon vorher als Selbstgespräch begonnen.
    »Bruder Factum Quintus«, sagte der Abt milde, »du redest wirres Zeug. Bitte, leg diese Urkunden ab – der Tisch steht direkt vor dir.«
    Die Rollen purzelten auf die Tischplatte wie ein Haufen übergroßer Mikadostäbchen. Factum Quintus’ schmales, glupschäugiges Gesicht war wieder sichtbar. Seine Stirn war gerunzelt. »Ballenblumen, richtig – die finden sich allerdings auch in den Ruinen aus der Neugründerzeit, und ich überlege, ob wir diese Teile des Hauses ebenfalls in Betracht ziehen sollten. In dem Fall hätten wir jedoch keine Reparaturanweisungen, da die frühen Bewohner Buchstaben und Zahlen allem Anschein nach noch nicht kannten.«
    »Ich denke, wir können die Neugründerzeit fürs erste

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