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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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rascher ausbreiten und noch sicherer zum Tod führen sollte. Kleinere Schrecknisse schlossen sich zuhauf an, Industrieunfälle und Terroristenangriffe auf unbegreifliche Ziele, und immer übertrugen die automatischen Kameras sekundenschnell die Bilder vom jüngsten Blutbad. Das Netz lief auch heiß von Berichten über normale, alltägliche Morde, über Erdbeben und andere Naturkatastrophen, ja sogar über einen stillgelegten Satelliten, der sich durch einen Fehler nicht selbst zerstört hatte und statt dessen bei seinem Wiedereintritt in die Atmosphäre in einen suborbitalen Passagierjet eingeschlagen war wie eine Bombe, wodurch siebenhundertachtundachtzig Passagiere und Besatzungsmitglieder verbrannt waren. Sämtliche Kommentatoren erklärten mit ernsten Mienen, was für ein Glück es gewesen sei, daß das Flugzeug nur halb besetzt war.
    Natürlich waren nicht alle Netznachrichten schlecht. Die Medien verstanden es immer wieder, die Leute bei der Stange zu halten, und wie ein Vogel weiß, wann er im Winter losfliegen muß, wußten sie, daß sie einen ansonsten unaufhörlichen Strom von schlechten Meldungen mit erfreulichen Geschichten auflockern mußten -Wohltätigkeitsveranstaltungen, gute Menschen, die ihren Nachbarn helfen, ein geistesgegenwärtiger Passant, der mit einem selbstgebastelten Schockstab ein Verbrechen vereitelt. Das Netz brachte außerdem Serien, Sport, Bildung und interaktive Environments in allen erdenklichen Formen. Kurz und gut, auch wenn er zum Zugang nur eine primitive Anlage besaß, hätte er damit eigentlich ausreichend beschäftigt sein müssen.
    Aber Jeremiah Dako machte nichts anderes, als darauf zu warten, daß das Fon klingelte.
     
    Er wußte, er hätte schon vor Tagen einen Vorschlaghammer auftreiben und das Ding von seiner Säule hauen sollen, aber die Sorge, irgendwie würde die Person oder der Apparat am anderen Ende die Veränderung merken und sie als Zeichen von Leben werten, hatte ihn davon abgehalten, denn er und seine Schutzbefohlenen bedurften unbedingter Geheimhaltung. Er hatte zudem die nicht recht faßbare Befürchtung, daß mit der Zerstörung des altertümlichen Telefons das Klingeln lediglich auf einen anderen Apparat des Stützpunkt überspringen würde. In einem Albtraum hatte er die gesamte technische Ausstattung des Stützpunkts zertrümmert, sogar die Steuerung der V-Tanks, mit dem Ergebnis, daß das gräßliche Schnarren des Fons danach aus der leeren Luft kam.
    Er war schwitzend aufgewacht. Und natürlich hatte wieder das Fon geklingelt.
    Es fiel ihm immer schwerer, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Zwei hilflose Menschen waren auf ihn angewiesen, aber Jeremiah wurde vollkommen von einem Geräusch in Anspruch genommen, einem bloßen elektronischen Signal. Wenn es doch bloß in einem festen Rhythmus gekommen wäre, dann hätte er sich vielleicht darauf einstellen und sich zu den betreffenden Zeiten ans entgegengesetzte Ende des Stützpunkts begeben können, außer Hörweite, doch es war perfide und unberechenbar wie eine Schlange, die von einem Rad überrollt worden war, aber noch lebte. Stundenlang konnte nichts sein, so daß er schon meinte, das Klingeln einen ganzen Tag lang nicht hören zu müssen, doch dann fing es ein paar Minuten später wieder an und hörte ewig nicht auf, viele Stunden lang, ein sterbendes Tier, das sein Gift in alles spritzte, was sich in seine Nähe wagte.
    Es machte ihn langsam wahnsinnig. Jeremiah spürte es. Es war schwierig genug gewesen, nach Josephs Flucht nicht den Mut zu verlieren, mit den lebenden Toten in den V-Tanks als einziger Gesellschaft, aber Bücher und gelegentliche Nickerchen – wofür er in der Vergangenheit nie Zeit gehabt hatte – und streng dosierte Netzberieselung hatten ihm geholfen, über die Runden zu kommen. Doch inzwischen war dieses unbarmherzige Folterinstrument das einzige, woran er dachte. Selbst wenn er am meisten abgelenkt war, wenn ihn etwas im Netz so fesselte, daß er zeitweise vergaß, wo er war, wartete ein Teil von ihm weiterhin angespannt wie ein geschlagenes Kind, das genau weiß, daß die nächste Mißhandlung kommen wird. Dann ertönte wieder das durchdringende Schnarren. Sein Herz hörte zu schlagen auf, und sein Kopf hämmerte, und er hätte sich am liebsten unter dem Tisch verkrochen, bis es wieder aufhörte.
    Aber heute nicht. Nie wieder.
    Er wartete natürlich darauf – er wartete derzeit immer darauf –, doch diesmal wollte er etwas tun. Vielleicht war es eine

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