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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Boden liegende Factum Quintus.
    »Und ihr seid Fleisch für die Mutter«, erklärte der Mann mit dem Zottelbart und schwenkte die Pistole über Renies ganze Schar. Seine Genossen stimmten in sein rauhes Lachen ein; viele hörten sich noch betrunkener an als er. »Heut nacht wird gefeiert, gelt. Die Mutter der Scherben verlangt nach Blut und Wehgeschrei.«
     
     
    > »Code Delphi. Hier anfangen.
    Ich traue mich nicht einmal zu flüstern. Nur ich werde diese lautlosen, subvokalisierten Worte je wieder auffinden können, doch ich bezweifle, daß ich dazu noch Gelegenheit haben werde. Und wenn ich nicht überlebe, was macht das schon? Ich werde wie ein Schatten aus der Welt gehen. Wenn dieser Unmensch Dread mich tötet und mein Herz zu schlagen aufhört, oder wie der virtuelle Tod sich in der Wirklichkeit sonst darstellen mag, dann wird niemand meine Leiche finden. Selbst wenn jemand tief im Schwarzen Berg nach mir suchen sollte, wird er niemals an den Sicherheitsvorkehrungen vorbeikommen. Mein entseeltes Fleisch wird dort für alle Zeit begraben liegen. Ich dachte letztens, ich hätte viel mit dem Menschen gemeinsam, der dieses ungeheure Haus erbaut hat, aber vielleicht ist mein wahrer Seelenverwandter der Anführer der Bruderschaft, der nur in der Gestalt eines mumifizierten ägyptischen Gottes auftritt, wie mein Peiniger berichtet. In alle Ewigkeit in einem riesigen steinernen Grabmal zu liegen – das ist es, was mir meine Abkehr von der Welt eingetragen hat.
    Diese Todesgedanken werden mich nicht mehr verlassen, und das nicht allein wegen der Anwesenheit des Mörders in dem gestohlenen Quan-Li-Sim, der nur wenige Meter entfernt friedlich im Sessel schlummert und in der falschen Unschuld des Schlafs einen noch täuschenderen Eindruck macht als ohnehin schon. Nein, der Tod ist mir noch in anderer Beziehung nahe.
    Was er von seinem Gang mitbrachte, war eine Leiche. Er zerrte sie mit der ungezwungenen Fröhlichkeit eines Verkäufers durch die Tür, der einem Kunden eine schwergewichtige Warenprobe ins Wohnzimmer stellt. Vielleicht ist es ja genau so gemeint – als Kostprobe für mich, als Vorgeschmack.
    Es ist der Körper einer jungen Frau, der jetzt neben mir an der Wand lehnt. Ich vermute, es wird die Obergeschoßküchenmamsell sein, von der Sidri meinte, sie sei weggelaufen, aber sicher weiß ich es natürlich nicht. Die Bestie hat … Sachen mit dem Körper gemacht, und wenigstens dieses eine Mal bin ich dankbar, daß ich keinen Gesichtssinn besitze. Der äußere Umriß allein, die unnatürliche Sitzhaltung mit gespreizten Beinen und hängendem Kopf, sagt mir zur Genüge, daß ich nicht mehr wissen will. Erleichternd ist nur, daß der Kopf wirklich hängt – es ist offensichtlich nicht der erstarrte Sim eines ermordeten Benutzers, sondern die Leiche einer rein virtuellen Person. Trotzdem, ich muß bloß an den Ton denken, in dem Zekiel und Sidri von ihrer verbotenen, übermächtigen Liebe sprachen, oder an den Stolz in der Stimme von Epistulus Tertius, als er seine Bibliothek beschrieb, und schon stellt sich mir die Frage, worin sich die Todesängste und Todesqualen eines dieser Replikanten von denen eines echten Menschen unterscheiden. Ich bin sicher, sie wären genauso entsetzlich mit anzusehen, und bestimmt hat mein Peiniger genau deshalb einen harmlosen Replikanten mit gut simulierten Ängsten und Hoffnungen derart zugerichtet und dann die verstümmelte Trophäe hierhergeschleift wie eine Katze, die stolz ihre Beute vorzeigt.
    ›Die mußte ich noch aufräumen‹, erklärte er mir, als er das tote Ding absetzte und die schlaffen Glieder so hindrapierte, wie er sie haben wollte. Er ist ein Monster, und sein Herz ist so schwarz und böse, daß jeder erfundene Menschenfresser oder Drache dagegen verblaßt. Das einzige, was mich noch aufrecht hält, ist mein inbrünstiger Wunsch zu erleben, wie dieses Scheusal seine verdiente Strafe bekommt. Das ist eine schwache Hoffnung, aber welche Hoffnung wäre auf lange Sicht nicht schwach? Ein Happy-End ist nur ein Punkt, an dem man eine Geschichte willkürlich abbricht. Aber wahre Geschichten haben kein Happy-End – sie enden in Leid und Jammer und Tod, alle ohne Ausnahme.
    O Gott, ich fürchte mich so! Ich kann nicht aufhören, davon zu reden, was ich kommen fühle. Obwohl er mich nicht angerührt hat, seit ich hier bin, hat er mich dermaßen in Panik versetzt, daß ich mir fast schon einbilde, in meinen Kleidern krabbelten Ratten. Ich muß … ich muß wieder die Mitte

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