Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
lauschte er einer leisen Musik. Das Lächeln erschien wieder, aber diesmal war es ein wenig natürlicher, nicht so breit und übermütig. »Ich muß noch ein paar andere wichtige Sachen mit dir besprechen, Dulcy. Ich mache das Büro hier in Cartagena dicht. Das Luftgottprojekt ist jetzt offiziell abgeschlossen, und der Alte Mann hat andere Sachen, die ich für ihn erledigen soll.«
Sie nickte einsichtig, aber fühlte sich überrumpelt. Der Gedanke, daß dieser Mann aus ihrem Leben verschwinden würde, erfüllte sie ebensosehr mit Erleichterung wie mit Bedauern. Sie machte den Mund auf, aber im ersten Moment fiel ihr nichts ein, was sie sagen konnte. »Das ist … tja, herzlichen Glückwunsch, was? Das war ein ziemlich wildes Ding. Also, ich beende dann meine Arbeit an dem V-Fektor und schick ihn dir zurück …«
Eine seiner Augenbrauen ging langsam hoch. »Ich hab nicht gesagt, daß mein Projekt zu Ende wäre, oder? Nur daß ich das Büro in Cartagena dichtmache. O nein, es gibt eine Menge loser Fäden, um die ich mich noch kümmern muß.« Wieder das Grinsen, blitzlichtweiß diesmal. »Ich möchte, daß du nach Sydney kommst.«
»Sydney? Australien?« Sie hätte sich für die dumme Frage in den Hintern treten können, aber er schenkte sich den naheliegenden Rüffel und wartete einfach darauf, daß sie sein Angebot beantwortete, ein Angebot, das ihr plötzlich viel komplizierter vorkam, als sie unmittelbar verstehen konnte. »Ich meine … wieso? Was soll ich machen? Du … ich hab den Sim bestimmt schon eine Woche nicht mehr benutzt.«
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte er, »und zwar nicht nur mit dem Gerät. Das ist ein sehr verzwicktes Projekt, das ich da angefangen habe. Ich möchte, daß du … mithilfst, ein Auge auf bestimmte Sachen zu haben.« Er lachte. »Und dabei kann ich auch ein Auge auf dich haben.«
Sie zuckte kaum merklich, aber seine Stimme hatte nichts von dem drohenden Ton von neulich, als er ihr eingeschärft hatte, ja den Mund zu halten. Ein Gedanke kam ihr, ein überraschender, erschreckender, geradezu überwältigender Gedanke.
Vielleicht … vielleicht will er mit mir zusammen sein. Ganz privat.
Sie verbarg ihre Verwirrung mit einem weiteren langen, ausgiebigen Nippen an ihrem Scotch mit Soda. Konnte das überhaupt sein? Und wenn ja, wäre sie so dumm, zu fahren? Er faszinierte sie, wie kein anderer es je getan hatte – wäre sie so dumm, nicht zu fahren?
»Ich muß drüber nachdenken.«
»Denk nicht zu lange«, sagte er. »Sonst ist der Zug abgefahren.« Sie meinte, ein Nachlassen seiner guten Laune zu bemerken, Müdigkeit vielleicht. »Du bekommst dein normales Honorar.«
»Oh! Nein, nein, das hab ich gar nicht … Ich dachte bloß, es ist nicht so leicht … so stehenden Fußes …« Sie biß sich auf die Lippe. Geschwätz. Chizz, Anwin, echt chizz. »Ich muß mir bloß überlegen, wie ich das arrangiere.«
»Ruf mich morgen an.« Er stockte. »Ich arbeite mit noch einer Kontaktperson, die dieses Feuerzeug für mich untersucht, aber bei der Arbeit mit ihr wünsche ich mir die ganze Zeit, du wärst an ihrer Stelle.« Sein Lächeln diesmal war seltsam, beinahe schüchtern. »Einen schönen Freitagabend noch.« Sein Gesicht verschwand vom Wandbildschirm.
Dulcy kippte den Rest ihres Drinks in einem langen Zug. Als Jones ihr auf den Schoß sprang, kraulte sie die Katze gewohnheitsmäßig hinter den Ohren, aber wenn es eine ganz andere Katze gewesen wäre, hätte sie es nicht gemerkt. Draußen vorm Fenster erlosch langsam das Sonnenlicht, die steinernen Schluchten von Soho wurden düster, und überall in der Stadt gingen die Lichter an.
> Während der ganzen sonderbaren Entwicklung der letzten Tage war Olga Pirofsky beinahe empfindungslos gewesen. Wenn auch ein Teil von ihr felsenfest überzeugt war, daß sie endlich ihr Ziel im Leben gefunden hatte, einen Sinn jenseits des stumpfen Einerlei von Arbeit und Häuslichkeit, so war doch ein anderer Teil durchaus noch imstande zu erkennen, daß dies alles für Außenstehende wie der blanke Irrsinn aussehen mußte. Aber kein Außenstehender konnte nachfühlen, was sie gefühlt, konnte nacherleben, was sie erlebt hatte. Selbst wenn es kein Irrsinn war, selbst wenn es, wie es den Anschein hatte, das Wichtigste war, was sie überhaupt tun konnte, so begriff sie doch jetzt die Verlockung des Wahnsinns in einer Weise wie nicht einmal damals im Sanatorium in Frankreich.
Daß die Stimmen in ihrem Innern auf sie einredeten, war ihr
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