Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
krümmen konnte. Vor Anstrengung wurde ihm in der äußeren Schwärze auch noch von innen heraus schwarz vor Augen. Auf den ersten rettenden Atemzug war kein zweiter gefolgt, und jetzt konnte er beinahe mitverfolgen, wie ihm der Brustkasten einfiel.
Ich kann nicht mehr … Schlicht am Leben zu bleiben erschien ihm schwerer als alles andere, eine titanische Last, die er lange genug getragen hatte. Ich geb auf …
Erst als er urplötzlich ein kleines Stück nach hinten rutschte, gerade weit genug, um endlich zum zweitenmal Atem schöpfen zu können, wurde ihm bewußt, daß jemand ihn heftig am Bein zog. In der veränderten Lage konnte er jetzt die Ellbogen ein wenig anziehen, so daß sein Brustkasten Platz zum Ausdehnen bekam. Selbst mit Sauerstoff in den Lungen war es qualvoll und widerlich, sich rückwärts unter Mewats Bauch hervorzuwinden, doch die Gier nach Licht und Luft ließ das Adrenalin einschießen, und die Person, die seinen Knöchel hielt, wer es auch sein mochte, zerrte weiter. Nach einem langwierigen stückchenweisen Schieben und Ziehen flutschte er zuletzt unter dem wabbelnden Fleischberg hervor.
Keuchend und würgend zurückgekehrt in das winddurchtoste Chaos des zertrümmerten Tempels, stellte er zu seiner Überraschung fest, daß nicht Fredericks ihn am Bein gezogen hatte, sondern der kleine Hausgott Bes.
»Hier draußen ist die Aussicht auch nicht viel besser«, teilte ihm der Gott grinsend mit.
Orlando stemmte sich mühsam auf die Knie. Die Frontwand des Tempels war fort. Der riesige Vögel war gelandet, schlug aber noch mit den ausgebreiteten feuersprühenden Schwingen und peitschte heftige Windstöße durch das riesige Loch, wo einst die Wand gestanden hatte.
Eine bleiche Gestalt in flatternden, glimmenden Mumienbinden und mit einer goldenen Gesichtsmaske, die der Inbegriff zürnender Macht war, saß auf seinem Hals. Orlando wollte nichts wie weg. Er robbte auf Händen und Knien durch den Schutt, bis er sein Schwert gefunden hatte, dann erinnerte er sich plötzlich wieder.
»Fredericks! Fredericks, wo bist du?«
»Dort drüben«, sagte Bes und blickte von seiner Betrachtung der regungslosen Gestalt Mewats auf. »Du kannst ihm wahrscheinlich noch helfen, wenn du dich beeilst.«
Orlando verfluchte im stillen den heiteren Gleichmut des kleinen Gottes und quälte sich auf die Füße, den Tränen nahe. Ungerecht war das, total ungerecht. Er wollte doch nur seine Ruhe haben. Er wollte schlafen. Kümmerte es denn gar niemanden, daß er ein kranker Junge war?
Er konnte in dem dunklen Tempel kaum etwas sehen, und noch weniger verstand er, was er sah, doch nach einem kurzen Umblicken erspähte er Fredericks und Tefi, die sich hinter einem der niedergegangenen Torsteine auf dem Boden wälzten. Der Vorteil, den der Überraschungsauftritt des großen Gottes Fredericks verschafft hatte, war schon verspielt: Der augenlose Tefi hatte seine langen Finger um Fredericks’ Hals gekrallt und drückte ihren Kopf nach hinten, drohte ihr jeden Moment die Wirbelsäule zu brechen.
Mit jedem Schritt, den Orlando auf die beiden zutat, wuchs sein Grauen, so als ob der Geiermann von einem giftigen Nebel umhüllt wäre, aber Fredericks war in Lebensgefahr und brauchte ihn. Er hob sein Schwert mit beiden Händen über den Kopf, lief taumelnd auf die beiden zu, so schnell er noch konnte, und holte dann zu einem der weiten Rundschläge aus, mit denen Thargor gefährlichen Bestien den Bauch aufzuschlitzen pflegte. Aber ein Schlag gegen den Körper kam nicht in Frage, solange Fredericks zappelnd und strampelnd zwischen den knochigen Beinen des Scheusals eingeklemmt war.
»Du!« schrie Orlando, als er das Schwert herumzog. »Du scännige, häßliche, beschissene Geierfratze!«
Tefi richtete die blicklosen, unergründlichen Augenhöhlen auf ihn, da zischte auch schon die Klinge Zentimeter über Fredericks’ fuchtelnden Händen hinweg. Da Orlando sein ganzes Gewicht in den Schlag gelegt hatte, bot Tefis dürrer Hals wenig Widerstand, und der abgetrennte Schnabelkopf trudelte durch die Luft wie ein unförmiger Fußball. Als der knochige Körper zusammenbrach, riß Fredericks sich völlig außer Atem davon los.
»Du lebst!« rief sie, kaum daß sie wieder Luft schöpfen konnte. »Ich dachte schon, dieser Riesenschleimsack hätte dich geext!«
Orlando war so erschöpft, daß er kein Wort herausbrachte. Er hielt sich mit einer Hand an Fredericks’ Arm fest und blieb vornübergebeugt stehen, bis die schwarzen Flecken vor
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