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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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den Augen wieder weggingen.
    »Dafür habt ihr jetzt keine Zeit«, rief Bes aus nächster Nähe. Wie zur Antwort kreischte Fredericks plötzlich vor Ekel und Schreck laut auf.
    Orlando richtete sich mühsam auf und drehte sich um. Tefis Körper krabbelte über die Fußbodenplatten und suchte mit krallenden Fingern nach seinem Kopf. Ein paar Meter weiter machte Mewat Anstalten sich aufzurappeln, obwohl er ein großes Loch im Schädel hatte und eines seiner Reptilienaugen ihm über die Backe hing.
    »Das Gateway«, keuchte Orlando und zerrte Fredericks am Arm. »Wir müssen sofort … müssen … zum Gateway.«
    »Was ist mit den Leuten vom Kreis?« fragte Fredericks, als sie von dem in Trümmern liegenden Tempelportal fortstolperten. »Und den Affen?«
    Orlando konnte nur den Kopf schütteln.
    »WO SIND MEINE DIENER?« donnerte eine Stimme vom Tor. Osiris war mindestens so groß wie die Sphinxe, aber wirkte irgendwie unkörperlich, als bestünde er nicht ganz aus Materie. Ein bläßliches Licht quoll zwischen seinen Binden hervor. »TEFI? MEWAT?«
    Nur weitergehen, sagte sich Orlando. Auch andere, Angreifer wie Verteidiger, suchten in panischer Angst vor Osiris schreiend das Weite. Einen Schritt, noch einen Schritt, noch einen …
    Da reckte sich vor ihnen eine hagere Gestalt auf, die bis zur Decke zu reichen schien. »Du hast mir unrecht getan!« kreischte sie. Orlando wäre beinahe zusammengebrochen, weil er sicher meinte, Osiris habe sie gestellt. Statt dessen stand der wolfsköpfige Upuaut, verlassen von den wenigen seiner noch lebenden Anhänger, auf seinem Thron wie mitten im Hochwasser, und seine gelben Augen funkelten haßerfüllt.
    Erst nach einem Moment der Verwirrung begriff Orlando, daß der Wolfgott nicht sie anschrie, sondern die flackernde Gestalt am anderen Ende des weiten Tempels. »Unrecht! Du nahmst mir, was mein war, Osiris! Du hast mich verhöhnt!«
    Orlando konnte sich nichts Dümmeres vorstellen, als in der Nähe dieses schwachsinnigen Gottes zu bleiben. Er zog Fredericks am Arm, und sie hasteten am Fuß von Upuauts Thron vorbei. Der Möchtegern-Usurpator deutete auf den fernen Osiris und tanzte förmlich vor Wut und Empörung.
    »Aber sieh her! Ich habe dein Land gegen dich aufgewiegelt!« schrie Upuaut, als plötzlich eine große Wolke pulsierenden weißen Lichtes durch den Tempel auf ihn zuschoß. Fredericks packte Orlando an seinen langen Barbarenhaaren und riß ihn fort. Als die blendend helle Woge Upuaut überströmte, wurde aus dem Gebrüll des Wolfgottes ein kurzer, pfeifender Schrei der Qual. Das vibrierende Leuchten gab keine Hitze ab; als es nur einen halben Meter vor ihnen zum Stillstand kam, war Orlando so benommen, daß er fast die Hand danach ausgestreckt hätte, aber Fredericks schleifte ihn weiter, bis das Licht verlosch und der Thron wieder zum Vorschein kam. Upuaut stand immer noch in der Haltung gerechten Zorns da, aber dann erkannte Orlando, daß der Gott sich nicht bewegte. Augenblicklich zu Kohlenstoff verbrannt war er jetzt eine vollkommen lebensechte wolfsköpfige Statue aus feiner Asche. Im nächsten Moment fiel die Figur in einer lautlosen grauen Implosion in sich zusammen, und auf dem Thron blieb nur ein winziges Pulverhäuflein zurück.
    In dem Halbdunkel, in dem das flirrende Licht des Osiris und der schwache Schein der fernen Sterne jetzt die einzigen Lichtquellen waren, wimmelte der zerstörte Tempel von wildgewordenen Schatten. Gestalten erschienen vor ihnen und verschwanden wieder; der Boden war mit dunklen Hindernissen übersät. Orlando merkte kaum etwas von alledem. Er klammerte sich an Fredericks’ Arm und wußte nur eines: daß er die Entfernung zwischen sich und dem schrecklichen Herrn über Leben und Tod vergrößern mußte.
    Wie sind wir je auf den Gedanken gekommen, wir könnten gegen sie kämpfen? fragte sich Orlando. Sie sind Götter. Mit allen Konsequenzen. Wir hatten nie eine Chance.
    Ein markerschütterndes Aufbrüllen ließ den riesigen Saal erzittern, ein Ton wie von einem zerschellenden Holzschiff – der Todesschrei eines der großen Sphinxe. Abermals brachen Steine aus der Decke. Der gesamte Tempel stand kurz vor dem Einsturz.
    Grauenhaft langsam schlugen sich Orlando und Fredericks zur hinteren Wand des Tempels durch. Hier, weiter abseits vom Geschehen, bewegten sich noch Körper wie in einem lebenden Bild der Höllenqualen. Schattenhafte Figuren wälzten sich in wildem Handgemenge auf dem Boden – Tempelasylanten, Soldaten,

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