Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
kaum einen klaren Gedanken zu fassen, und er war so müde.
»Gut«, sagte er schließlich. Auf die Art war es am besten – wenn sie ihn nahmen, tauschten sie Fredericks gegen Ausschuß ein. Er hatte kaum Aussichten, ein Verhör durchzustehen, und viel konnte er ihnen sowieso nicht verraten: Er wußte wenig vom Kreis und konnte nicht einmal davon ausgehen, daß Renie und die anderen noch am Leben waren. »Na gut. Laßt sie gehen. Nehmt mich.«
Mewat streckte eine schuppige Hand aus. »Dann komm her, mein junger Freund. Hab keine Angst … das eine oder andere wirst du vielleicht sogar genießen …«
Als ihre herabhängenden Füße den Boden berührten, gingen Fredericks’ Augen flatternd auf und richteten sich einen Moment lang wie verschleiert auf Orlando, bevor sie Tefis eckige Gestalt erblickten.
»Lauf, Orlando!« Fredericks zappelte vergeblich, was zur Folge hatte, daß Mewat sie wieder hochriß und in seiner Pranke in der Luft baumeln ließ wie an einem Fleischhaken. »Lauf doch!«
»Sie lassen dich gehen«, suchte Orlando seine Freundin zu beruhigen. Wenn es überhaupt eine Aussicht gab, hier zu entkommen, durften sie keinen Fehler machen. »Mach jetzt bloß nichts Überstürztes, Frederico.«
Fredericks schlug ohnmächtig um sich. »Sie werden mich nicht gehen lassen! Du bist mega durchgescännt, wenn du denen das abnimmst!«
Orlando schob sich näher heran. »Sie haben es versprochen.« Er beäugte Tefi, der seine unglaublich langen, knochigen Finger rieb und sich freute wie ein Kind, das Geburtstag hat. »Stimmt’s?«
»Meine Güte, ja doch.« Der mißgebildete Schnabel verzog sich zu einer Miene gekränkter Aufrichtigkeit. »Auf unsere Art sind wir … Ehrenmänner.«
Orlando tat einen weiteren Schritt vor. Die Aura des Schreckens, die die beiden umgab, schlug ihm entgegen wie ein steifer kalter Wind. Er mußte seinen ganzen Mut zusammennehmen, um sich nicht umzudrehen und wegzulaufen. Wie hielt Fredericks das aus, ohne wie wild zu schreien?
»Okay«, sagte er, als er nur noch wenige Meter vor Mewat stand. »Laß sie los.« Er senkte das Schwert, bis es auf den bleichen, öligen Schmerbauch des Widerlings deutete.
»Erst wenn ich dich berühren kann«, erwiderte der Kobramann.
Orlando überwand seine Angst und warf Fredericks den vielsagendsten Blick zu, den er hinkriegte. Das würde heikel werden – wie weh konnte er dem Monster tun, wenn er einen Streich gegen diese schwabbelige Hand führte?
Ein abermaliges Krachen ließ den Boden erbeben, und der Kobramann blickte zur Seite. Der große Sphinx war erneut zu Fall gebracht worden, und diesmal wand er sich unter den beiden Kriegsgöttern am Boden.
»Dua!« Das Brüllen des Sphinx drohte die Tempelmauern zum Einsturz zu bringen. »Dua, mein Bruder, ich bin gefallen! Komm mir zur Hilfe!«
Orlando nutzte den Augenblick und hieb auf die Hand, die Fredericks hochhielt. »Lauf!« schrie er. Als Mewat überrascht zusammenfuhr, konnte Fredericks sich seinem Griff entwinden. Orlando sprang vor, um mit blanker Klinge ihren Rückzug zu decken, und schlug nach dem fauchenden, zähnefletschenden Gesicht, doch Mewat lenkte den Hieb mit seiner verwundeten Hand ab und stieß dann seinerseits mit unvorstellbarer Schnelligkeit zu, so daß Orlando die Waffe aus der Hand flog. Sein Partner Tefi kümmerte sich um Fredericks und schnappte sie mit seinen langen Fingern, bevor sie zwei Schritte gemacht hatte.
Ein mächtiger Arm schlang sich um Orlando und drückte zu, bis er kaum noch Luft bekam. Er wehrte sich, doch gegen diesen Griff war nicht anzukommen. Mewats Mund streifte sein Ohr.
»Wenn du alles, alles, alles ausgespuckt hast, was wir wissen wollen … werde ich dich fressen.« Die Bestie rülpste wieder und hüllte Orlando in eine stinkende Wolke ein. Helle Punkte tanzten ihm vor den Augen, aber sie waren nur Fünkchen vor der rasch ausufernden Schwärze.
Eine donnernde Stimme hallte von den steinernen Wänden des Tempels wider. »Ich komme, mein Bruder!«
Orlandos Bezwinger stockte. Aus den Schatten im hinteren Teil des Tempels näherte sich eine weitere riesenhafte Gestalt. Der zweite Sphinx schleifte seine lahm geschlagenen Hinterbeine nach, und aus seinen Wunden strömte dabei eine schimmernde Spur aus Wüstensand.
»Ich habe meinen Posten verlassen, o Bruder«, klagte er, »zum erstenmal seit Anbeginn der Zeit.« Die Haut, die vorher die blaßblaue Farbe des Morgenhimmels gehabt hatte, war jetzt hellgrau. »Aber ich komme zu dir.«
Das
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