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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schildkrötenmänner. Einige der gepanzerten Kreaturen bekämpften sich sogar untereinander und bissen in gespenstisch lautlosem Ringen gegenseitig nach ihren Gesichtern.
    Als die beiden Freunde sich gerade einen Weg durch den Wall aus verrenkten Leibern bahnten, der die Tür in der Rückwand versperrte, schmetterte die mächtige Stimme des Gottes abermals so laut durch den Tempel, daß sie meinten, er stünde direkt hinter ihnen.
    »NATÜRLICH BIN ICH WÜTEND, IHR NICHTSNUTZIGEN IDIOTEN! UND SETZ DEINEN VERDAMMTEN KOPF AUF, WENN ICH MIT DIR REDE!«
    In einem anderen Universum hätte Orlando vielleicht gelacht, aber hier war nichts auch nur im geringsten komisch.
    Irgend etwas knallte ihm an den Kopf, und er sah den Fußboden auf sich zustürzen. Er spürte, daß Fredericks ihn hochriß, aber er wußte im ersten Moment nicht, wie er seine Beine bewegen sollte. Nur einen Meter vor ihm lag, fast bis zur Unkenntlichkeit verformt, der Körper, der einmal dem jungen Wassili vom Kreis gehört hatte. Fredericks schlang einen Arm um Orlandos Brust, und irgendwie kam er wieder auf die Füße, aber er fühlte sich eigenartig abgetrennt, als ob sein Kopf selbständig über dem Körper schwebte … sich in der Luft drehte wie Tefis Geierschädel …
    »Bonnie … Nandi …«, murmelte er. Sie konnten sie nicht einfach zurücklassen. Und die Böse Bande …
    »Steh auf, Gardiner!« schrie seine Freundin. Fredericks schleifte ihn weiter in den Nebenraum hinein. »So hilf uns doch jemand!« Am anderen Ende des Zimmers wurde ein flackerndes Licht unversehens zu einer goldenen Flammenwand.
    Das bedeutet etwas, sagte sich Orlando, aber er konnte nicht mehr denken. Ein Sturm schwarzer Gestalten kam auf ihn zugewirbelt – Fledermäuse oder Affen, Affen oder Fledermäuse. Er wußte nicht, wer was war, und es war ihm auch egal.
    »Hilfe!« schrie Fredericks wieder, aber leiser jetzt, als ob sie in einen tiefen Tunnel gestürzt wäre.
    Das goldene Licht war das letzte, was Orlando sah, ein zitterndes Leuchten, das noch eine Sekunde lang in der Dunkelheit schien, als alles andere schon weg war, aber zuletzt verblaßte auch dieser helle Fleck und ging aus.
     
     
    > Es gab für so etwas keine Verhaltensmaßregeln, das wußte Catur Ramsey. Er fühlte sich wie der erste Abgesandte auf einem fremden Planeten. In der Gegenwart von Eltern, deren Kind im Sterben lag, gab es keine Worte, keine Gesten, mit denen man eine solche unfaßbare Kluft überbrücken konnte.
    Als er sein Gewicht verlagerte, war ihm das kratzige Rascheln seines sterilen Wegwerfkittels unangenehm. Andererseits spielte es keine Rolle; vermutlich hätte er mit einem Gewehr in die Luft feuern können, und die Eltern hätten dennoch nicht vom bleichen, verrunzelten Gesicht ihres Kindes aufgeschaut.
    Tief eingesunken in das Komabett mit den langsam vor sich hinarbeitenden Apparaten, die Wangen eingefallen und der Schädel beinahe durch die Haut scheinend, sah Orlando Gardiner wie der öffentlich ausgestellte Leichnam eines uralten Herrschers aus. Und doch war er noch am Leben: Ein winziges Flämmchen tief im Gehirn sorgte dafür, daß sein Herz noch schlug. Ein winziges Etwas, doch wenn es erlosch, war alles aus. Ramsey fühlte sich schuldig, daß er das sterbende Kind betrachtete, wie ein unbefugter Eindringling in jemandes Privatsphäre – und in gewisser Hinsicht war er das auch, ein Eindringling in die privateste Sphäre überhaupt, die letzte und einsamste Reise. Nur der schimmernde Knopf der Neurokanüle, der immer noch im Hals des Jungen steckte wie ein Stöpsel, der das Entweichen des letzten Lebensfunkens verhinderte, wirkte unpassend. Er störte Ramsey, denn er erinnerte ihn an Dinge, die er sagen sollte und nicht sagen wollte.
    Orlandos Mutter strich über das schlaffe Gesicht des Jungen. Ihr Blick war so furchtbar, daß Ramsey nicht mehr hinschauen konnte. Er schlich zur Tür und trat in den Flur hinaus, jetzt voller Schuldgefühle wegen der Erleichterung, die er verspürte.
     
    Im Aufenthaltsraum der Klinik fühlte Ramsey sich auch nicht viel wohler als auf den Stationen. Der Raum war in einem aggressiv fröhlichen Stil aufgemacht, der ihn deprimierte, auch wenn er das Kalkül dahinter verstand. Die Spielsachen und Hologramme und bunten, zu dick gepolsterten Möbel konnten den Schmerz und die Angst nicht kaschieren, die über einem solchen Ort hingen, einerlei, wie die Aufmachung war. Man mußte nur einen Blick auf die Familien werfen, die zusammengedrängt darauf

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