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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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zu Orlando herstellen, nicht das richtige Traumfenster zu ihm finden konnte? Wie grausam wäre das, ihre Hoffnungen zu wecken, die ganze undankbare, trostlose Trauerarbeit zunichte zu machen, die sie leisteten, um sich mit der Wirklichkeit abzufinden, und dann mit leeren Händen dazustehen? Ramsey konnte nicht einmal behaupten, persönlich mit Orlando gesprochen zu haben. Er hatte alles aus zweiter Hand, aus der Hand eines Stücks Gear, das sich für einen sprechenden Käfer hielt.
    Er war wie gelähmt. Das Risiko war zu groß. Er hatte sich eingebildet, als pflichtbewußter Mensch keine andere Wahl zu haben, aber jetzt, wo er Vivien so gramgebeugt vor sich sah, als ob Orlandos Koma schon Jahre und nicht bloß Tage währte, und am Aquarium ihren still vor sich hinweinenden Mann, da traute er seinem vorherigen Entschluß nicht mehr. Eines der faszinierendsten Dinge an seinem Beruf war damals am Anfang das gottgleiche Gefühl gewesen, das Leben anderer Menschen in der Hand zu haben – als Beichtvater, Fürsprecher, manchmal sogar Retter. Jetzt hätte er alles gegeben, um den Kelch an sich vorbeigehen zu lassen.
    Aber kann ich ihnen wirklich die einzige Chance nehmen, Lebewohl zu sagen? Bloß weil ich fürchte, es könnte ein Irrtum sein?
    Ein kleiner, feiger Teil in ihm flüsterte: Wenn du es ihnen heute nicht sagst, kannst du morgen immer noch deine Meinung ändern. Aber sobald du es ausgesprochen hast, ist es zu spät – du kannst es nicht ungesagt machen.
    Zu seiner Schande hörte er auf diesen flüsternden Teil und gab ihm recht.
     
    Vivien bemühte sich, aufmerksam zuzuhören, aber sie hatte sichtlich Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. »Das soll also heißen, es war irgend etwas in dieser Spielwelt? Jemand hat ihn … geködert?«
    Conrad hatte sich wieder dazugesellt, aber schien Vivien gern das Fragenstellen zu überlassen. Er machte vor sich auf dem Tisch einen Haufen aus winzigen Fetzen, die er von einem mittlerweile zerfledderten Papiertuch abriß und dann immer auf die anderen drauflegte.
    »Ich vermute es, obwohl noch nicht ganz klar ist, wieso jemand Interesse haben sollte, ihn zu ködern, ihn oder die andern Kids, die sonst noch auf dieses Bild gestoßen sind.«
    »Dieses Bild … einer Stadt.«
    »Ja. Soweit ich sehen kann, hat jemand eine Menge Aufwand getrieben und muß auch eine Menge Geld ausgegeben haben – alles, was ich entdeckt habe, sieht danach aus, als wäre viel Arbeit darin investiert worden. Aber warum? Ich habe im Grunde immer noch keine Ahnung.«
    »Das heißt, jemand hat Orlando das angetan.« Zum erstenmal hatte Viviens Stimme einen halbwegs normalen Ton – den Ton einer zornigen Mutter.
    »Vielleicht. Es wäre sonst ein merkwürdiger Zufall, zumal ja Salome Fredericks ebenfalls im Koma liegt, und sie hat Orlando bei seiner Suche geholfen.«
    »Dieses verdammte Mittland – ich hasse es! Die letzten paar Jahre hat er praktisch dort gelebt.« Vivien fing plötzlich zu lachen an. »Monster! Mein armer Sohn wollte Monster haben, die er töten konnte. Nicht sehr erstaunlich, vermute ich, wenn man seine reale Situation bedenkt, gegen die er gar nichts machen konnte. Er war übrigens sehr gut darin.«
    »Der Meinung waren alle dort.«
    »Na gut, dann verklagen wir die Schweine.« Sie sah ihren Mann an, der mit dem leisen Anflug eines Lächelns ihren Return seines vorherigen Aufschlags quittierte. »Diese Mittlandschweine. Dann sollen sie bezahlen. Es wird uns Orlando nicht zurückbringen, aber vielleicht kann es andern Kindern noch helfen.«
    »Ich glaube nicht so recht, daß Mittland daran schuld ist, Frau Fennis.« Ramsey hatte beschlossen, das heikle Thema der Kommunikation mit Orlando zu vermeiden, aber das war jetzt ein weiterer Punkt, wo ihm nicht ganz wohl war. Alles, was er bis jetzt über Orlandos Fall herausgefunden hatte, schrie wie eine Sensationsschlagzeile: Weltweite Verschwörung! Kinderraub mit Science-Fiction-Mitteln! Er durfte trauernden Eltern auf keinen Fall solche Gedanken einreden, solange er nicht mehr Beweise hatte. »Laßt mich die Sache noch ein bißchen genauer unter die Lupe nehmen, dann kann ich vielleicht bei unserem nächsten Zusammentreffen ein paar konkrete Vorschläge machen. Und macht euch bitte keine Gedanken wegen der Arbeitszeit. Ich werde weiterhin von den Fredericks’ bezahlt, und einiges mache ich auch auf eigene Rechnung.«
    »Das ist sehr freundlich von dir«, sagte Vivien.
    Verlegen schüttelte er den Kopf. »Nein, so hab ich das nicht

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