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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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alle außer den hartnäckigsten Nostalgikern unter meinen Kommilitonen. Als ich in die Harmoniegemeinde zurückkehrte, ließ ich es sogar auf eine Kraftprobe mit dem Gemeinderat ankommen, bei der ich drohte wegzugehen, wenn sie mir nicht wenigstens eine Leitung gestatteten, die eine größere Bandbreite als reine Sprachkommunikation bewältigen konnte. Ich erklärte ihnen, ohne eine solche Leitung könnte ich nicht ihre Ärztin sein, was nur zum Teil stimmte. Mein Erpressungsmanöver hatte Erfolg.
    Damit führte ich das Netz in die Harmoniegemeinde ein. Niemand außer mir rührte die Systemstation an, und nach einer Weile legten sich die Befürchtungen des Gemeinderats. Schließlich geriet ihre Existenz fast ganz in Vergessenheit, doch irgendwann mußte ich für mein Vergnügen bezahlen, teuer bezahlen. Aber zu dem Zeitpunkt machte ich nur selten davon Gebrauch, jedenfalls nachdem die Sache ihren anfänglichen Neuheitswert verloren hatte. Ich hielt Kontakt mit ein paar Freunden aus dem Studium. Ich bemühte mich, allgemeinmedizinisch auf dem laufenden zu bleiben. In seltenen Fällen experimentierte ich mit einigen der anderen Möglichkeiten, die das Netz bot, aber meine Arbeit in der Gemeinde beanspruchte mich sehr. In vieler Hinsicht war ich fast genauso von der modernen Welt abgeschottet wie du, !Xabbu , in deinen jungen Jahren am Okawango.
    Was alles veränderte, war mein Kind – und ein Mann namens Anicho Berg.
    Meine Mutter kam bei einem Unfall ums Leben – genau wie deine, Renie. Es geschah im Winter, vor zwölf Jahren. Die Heizung in der Baracke, in der sie mit einigen der älteren Harmoniefrauen wohnte, ging defekt, und sie erstickten. Es gibt schlimmere Tode. Danach jedoch regte sich in mir zum erstenmal das Gefühl, daß meine Mitkommunarden die Familienbindung womöglich doch nicht voll ersetzen konnten, daß mir ohne meine Mutter der tiefe persönliche Bezug zur Welt, ja zu meinem eigenen Leben fehlte. Vielleicht versteht ihr, was ich meine.
    Es war nicht sehr fernliegend für eine Frau über vierzig, an ein Kind zu denken. Es war auch nicht schwierig für eine Frau mit einem abgeschlossenen Medizinstudium und der Zuständigkeit für die ärztliche Versorgung einiger hundert Leute, eine künstliche Befruchtung vorzunehmen. Ich überlegte kurz, ob ich einfach eine meiner eigenen unbefruchteten Zellen klonen sollte, aber ich wollte nicht bloß eine zweite Ausgabe von mir selber. Ich nahm mehrere gesunde Samenproben von verschiedenen Spendern, taute sie auf und mischte sie zusammen.
    Obwohl ihre Zeugung so klinisch vonstatten ging, brachte ich meine Tochter Eirene nach Ablauf von neun vollen Monaten zur Welt und war sie in meinen Augen wunderschön, schöner, als ich sagen kann. Daß eine Frau, die ihr ganzes Leben in einer Gemeinschaft verbracht hat, auf einmal ihr Kind eifersüchtig hütet und bewacht, erstaunt euch vielleicht nicht besonders.
    Wenn ich weiter in der Harmoniegemeinde leben wollte, mußte ich zulassen, daß sie zusammen mit den andern Kindern in die Gemeindeschule ging, und ich hatte nicht den Wunsch wegzugehen – es war das einzige Zuhause, das ich jemals wirklich gehabt hatte. Aber es war mir wichtig, sie zusätzlich selber zu unterrichten und keine weitgehend unbeteiligte Figur wie meine Mutter zu sein, die mich nur geringfügig liebevoller und vertrauter behandelt hatte als irgendeine der übrigen Schwestern in Gott. Ich war Eirenes Mutter, und sie wußte das. Ich sagte es ihr jeden Tag. Sie fühlte es.«
    Florimels geraffte Darstellung kam plötzlich unerwartet ins Stocken. Es dauerte einen Moment, ehe Renie begriff, daß die Frau mit den Tränen rang.
    »Entschuldigt, bitte.« Es war ihr offensichtlich peinlich. »Wir kommen jetzt zu den Dingen, die zu sagen, ja nur zu erinnern mir sehr schwerfällt.
    Anicho Berg war zunächst niemand, vor dem man Angst haben mußte. Er war ein dünner, ernster junger Mann, der der Gemeinde schon lange angehörte, seit seiner Jugend. Irgendwann hatten er und ich sogar eine kurze Affäre, aber das hatte wenig zu bedeuten, weil es Liebesbeziehungen außerhalb der Kommune schlicht nicht gab, und obwohl wir keine der Gruppen waren, die die freie Liebe propagierten, war Doktor Traugott auch nicht sexfeindlich gewesen – sein Augenmerk galt nur mehr den Ernährungsgewohnheiten und Verdauungsproblemen der Leute. Wir waren normale, gesunde Menschen. Viele von uns sammelten über die Jahre Erfahrungen, und einige heirateten. Aber Anicho war ehrgeizig und

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