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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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geringsten anheimelnd. Ein tiefer Graben mit überhängenden Rändern und dichten Reihen spitzer Pfähle auf beiden Seiten bildete den äußersten Ring, und hinter dem Graben erhob sich zweimal mannshoch eine Mauer aus aufgeschichteten Steinen, verstärkt durch mächtige Baumstämme. Ein kurzes Stück hinter der Mauer wiederum war ein gewaltiger Erdhaufen aufgeschüttet worden, wie zur Nachahmung der fernen Hügel. An mehreren Stellen sickerte Rauch durch, es hatte also einen großen Brand gegeben, und die Überreste schwelten noch. Mit einem kleinen Schock, den selbst das Wissen um die Virtualität der Szene nicht ganz abpuffern konnte, ging Paul auf, was dort verbrannt und begraben worden war. Das Gemetzel mußte grauenvoll gewesen sein.
    Ajax erhielt bei ihrem Weg durch das Schiffslager viel Aufmerksamkeit, viele ehrfürchtig zugenickte Begrüßungen und so manchen Zuruf, doch Paul als Odysseus erhielt nicht weniger. Es war äußerst seltsam, durch diese archaische Feste zu spazieren und von altgriechischen Kämpen mit Hochrufen bedacht zu werden, ein zurückkehrender Held, der in Wirklichkeit noch niemals hiergewesen war. Das waren vermutlich die Sachen, die die Gralsbrüder toll fanden, aber er kam sich dabei wie ein Schwindler vor.
    Was er im Grunde auch war.
    Es war eine richtige Stadt, begriff Paul. Auf jeden griechischen Krieger, von denen es Tausende geben mußte, kamen zwei oder drei dienstbare Wesen, die in der Schlacht oder bei den alltäglichen Geschäften halfen. Ochsenlenker mit Versorgungsschlitten, Stallburschen für die Wagenpferde, Wasserträger, Zimmerleute und Maurer, die an den Befestigungen arbeiteten, sogar Frauen und Kinder – ein großes emsiges Gewimmel. Paul sah zu den schimmernden Mauern von Troja hinauf und überlegte, wie Leuten zumute sein mußte, wenn sie jahrelang dort drinnen eingesperrt waren und Tag für Tag diese unglaubliche Menschenmaschinerie dort unten sahen, die unermüdlich ihre Vernichtung betrieb. Die Ebene war früher einmal wahrscheinlich von Viehherden und Hirten bevölkert gewesen, jetzt aber waren alle Tiere in den beiden Städten eingepfercht, der festen und der provisorischen, und die Menschen hatten sich ebenfalls verzogen und ihre Wahl zwischen Belagerern und Belagerten getroffen. Abgesehen von Aasvögeln, den niedrigen Gewitterwolken ähnelnden Krähenschwärmen, war die Ebene so leer, als ob ein großer Besen alles weggefegt hätte, was keine tiefen Wurzeln besaß.
    Während sie durch das Lager schritten, verhielten sich Phoinix und der gewaltige Ajax weiterhin so, als ob Azador gar nicht vorhanden wäre, doch der Zigeuner war wieder einmal in ein wachsames Stillschweigen verfallen und schien nichts dagegen zu haben. Sie gingen zum Meeresrand, wo die auf den Sand gezogenen Schiffe in einer langen Reihe eines am anderen lagen, mächtige Rümpfe mit zwei Ruderzeilen auf jeder Seite, dazu etliche kleinere, schnellere Segler. Alle waren glänzend schwarz, und bei vielen krümmte sich der Bug hoch über das Deck hinaus wie der stichbereite Schwanz eines Skorpions.
    Die vier schritten über ein Feld flatternder Zelte auf eine große hölzerne Hütte zu, die auch, wenn sie aus Zeltplane gewesen wäre, durch ihren reichen Schmuck, die bemalten Türpfosten und das Blattgold am Türsturz unter den anderen hervorgestochen hätte. Paul meinte zuerst, sie müsse Achilles gehören, doch Phoinix hielt vor den beiderseits der Tür Wache stehenden Lanzenträgern an und bemerkte zu ihm: »Er grollt dem Achilles, aber er weiß, daß mit seiner eigenen Beirrung alles anfing. Dennoch ist er der Höchste unter uns und hat Zeus ihm den Herrscherstab verliehen. Mag er sagen, was er zu sagen hat, und alsdann wollen wir zum Sohn des Peleus eilen und sehen, ob wir ihn irgend besänftigen können.«
    Ajax ließ ein unwilliges Grunzen hören, einen tiefen, grollenden Ton wie von einem Stier, der mit dem Hinterteil an eine Nessel gekommen war. Beim Eintreten fragte sich Paul, auf welchen der beiden Streithähne der Hüne nicht gut zu sprechen war, und war nur froh, daß er nicht in Frage kam.
    Paul konnte zunächst kaum etwas erkennen. Trotz des Lochs in der Decke verräucherte ein großes Feuer die Luft in der Hütte. Im Innern befanden sich viele Gestalten, größtenteils bewaffnete Männer, aber auch ein paar Frauen. Der alte Mann trat schnurstracks auf eine Gruppe am hinteren Ende zu.
    »Großer Agamemnon, Hirt der Völker!« sagte Phoinix laut. »Ich habe den vielklugen Odysseus

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