Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Grund hier, daran mußte er glauben – Penelope, Vaala, wie sie auch heißen mochte, mußte irgend etwas hier in Troja mit ihm im Sinn haben.
Der schwarze Berg. Sie sagte, ich muß ihn finden … aber hier in der Nähe sind gar keine richtigen Berge.
»Ich geh zum Floß zurück«, sagte Azador plötzlich. »Sieh dir die Leute an – die werden sich alle bald gegenseitig umbringen. Ich hab nicht vor, mich auch umbringen zu lassen.«
»Wo willst du hin?«
Das Achselzucken des Zigeuners sagte genug. »Spielt keine Rolle. Azador kommt immer durch, was auch geschieht. Aber du, Ionas …« Er grinste unvermittelt. »Odysseus. Du wirst dir noch wünschen, du wärst mit mir gekommen. Solche Sachen sind für dich zu gefährlich.«
Paul war ein wenig gekränkt, bemühte sich aber, unbeeindruckt zu klingen. »Kann sein. Doch es hilft nichts, ich muß hierbleiben. Ich wünsche dir aber viel Glück – ich werde dich nicht vergessen. Danke für deine Hilfe und deine Kameradschaft.«
Azador lachte schallend los. »Du mußt ein Engländer sein, bei den Manieren. Sie riechen förmlich nach so einer englischen Schnöselschule. Bist du ein Engländer?« Pauls verärgertes Schweigen provozierte den nächsten Lachanfall. »Ich hab’s gewußt! Du, mein Freund, wirst mehr als Glück nötig haben.« Er drehte sich um und schritt den Strand hinauf.
Was zum Teufel mache ich eigentlich? dachte Paul. Er hat recht, ich sollte zusehen, daß ich schleunigst wegkomme. Hier wird demnächst die Hölle los sein, es wird bestimmt so schlimm werden wie im Ersten Weltkrieg. Aber ich muß unbedingt den Rätselfuchs spielen und hier rumlatschen, um rauszukriegen, warum mich irgendein Engel hergeschickt hat, und unterdessen wollen jede Menge übergeschnappte Muskelmänner mit Lanzen mich abstechen. Ein Idiot, das bin ich, und ich bin es gründlich leid.
Aber was bleibt mir denn übrig?
Irgendwo auf der anderen Seite der Mauer erhoben sich Krähen vom Schlachtfeld und schraubten sich im Schwarm in die Höhe wie eine träge schwarze Windhose, bevor sie auseinanderflogen und sich über den Himmel zerstreuten. Paul sah ihnen nach, und es kam ihm so vor, als könnte kein Mensch darin etwas anderes erblicken als ein schlechtes Omen. Er trat verdrossen Sand in die Luft und überlegte, was er als nächstes tun sollte.
Es würde wahrscheinlich nicht schaden, wenn ich mich ein bißchen umschaue, mir das Lager angucke, mit ein paar Leuten rede. Vielleicht geh ich dann später nochmal bei Achilles vorbei, dem größten aller Krieger …
Kapitel
Ein Job zu ungewöhnlichen Konditionen
NETFEED/NACHRICHTEN:
Funkstille auf der Marsbasis
(Bild: Archivbilder vom MBC-Projekt – der Bau der Basis)
Off-Stimme: Vom größten Bauprojekt auf dem Mars kommt keine Meldung mehr, und die Arbeit steht still. Mitarbeiter der Weltraumbehörde erwägen die Möglichkeit, daß sich bei den Baurobotern ein Reproduktionsfehler eingeschlichen hat.
(Bild: Corwin Ames, PR-Chef von General Equipment, auf einer Pressekonferenz)
Ames: »Das Problem ist, daß wir diese Dinger nicht kontrollieren. Wir haben lediglich die Originale gebaut und sie losgeschickt. Es sind hochkomplexe Systeme, die sich mechanisch reproduzieren. Falls im Code eine Mutation auftritt – zum Beispiel durch einen Kratzer auf einer der Schablonen –, kann sie allein durch natürliche Selektion wieder aufgehoben werden. Wir müssen einfach hoffen, daß die negativ veränderten Exemplare eine hohe Sterblichkeitsrate haben und die Reproduzenten deshalb in der nächsten Generation wieder davon abgehen …«
> Brigadegeneral Daniel Yacoubian erschien einfach in dem imaginären Speisesaal; wenn sein Eintritt von einem Rauchwölkchen begleitet gewesen wäre, hätte es einen netten Zaubertrick abgegeben. »Ich hab deine Mitteilung erhalten«, knurrte er. »Ich kann nur hoffen, daß es wichtig ist – ich bin grade unterwegs und hab tausend Sachen am Hals.«
Robert Wells schien ein geradezu perverses Vergnügen daran zu finden, sich auch in der VR ehrlich darzustellen. Bei näherer Betrachtung sah man seinem Sim jeden Tag seiner einhundertelf Jahre an – die Haut an manchen Stellen stumpf, an anderen glänzend, die Bewegungen langsam und tatterig. Die alterungshemmenden Maßnahmen hielten ihn am Leben und sogar einigermaßen in Schwung, aber sie konnten ihn nicht wieder jung machen, und er ließ es zu, daß seine virtuelle Darstellung diese harte Tatsache widerspiegelte. Yacoubian fand es absurd und
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