Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Böschung hinter der Mauer hinauf, einige nur in der halben Rüstung. Viele starben, bevor sie überhaupt den Bogen spannen konnten, aber anderen gelang es, die Schüsse zu erwidern. Die trojanischen Schützen und ihre Wagenlenker konnten sich beim Schießen nicht mit den Schilden decken, und als jetzt von der griechischen Mauer Pfeile angeflogen kamen, zogen sich die Wagen in einen sicheren Abstand zurück.
Ein wilder Jubelschrei erscholl aus den Kehlen von Pauls Ithakesiern, als der Pfeilregen nachließ, doch falls sie so dumm waren zu meinen, sie hätten den trojanischen Angriff abgeschlagen, hielt dieser Irrtum nicht lange an. Die letzte Welle der trojanischen Streitwagen rollte auf den Graben zu, aber diesmal nicht, um zu schießen und wieder davonzupreschen. Während das trojanische Fußvolk auf breiter Front über die Ebene heranflutete, stiegen die Vorkämpfer aus den Wagen und rückten mit hocherhobenen Langschilden vor, die alles bis auf die unmenschlichen, insektenartigen Helme und die langen Lanzen verbargen.
Einer aber schritt schneller aus als alle anderen und stürmte auf die griechische Mauer zu, als wollte er sie ganz allein einreißen.
»Hektor!« schrie einer der Griechen. »Es ist der große Hektor!« Paul spürte, wie die Männer um ihn herum das Grauen packte. An anderen Stellen der Mauer riefen einige Schmähworte zum Sohn des Priamos hinunter, doch selbst die hatten einen schrillen Klang.
»Ohne Achilles können wir ihm nicht entgegentreten«, murmelte einer der Ithakesier. »Wo ist er? Wird er kämpfen?«
Der trojanische Führer reagierte auf keine der Beleidigungen, sondern eilte voran, als hätte er Angst, einer seiner Kameraden könnte die Mauer als erster erreichen. Zu dem Zeitpunkt, als er unten im Graben war und auf der anderen Seite emporzuklettern begann, war sein Schild bereits über und über mit griechischen Pfeilen gespickt, aber er trug ihn so mühelos, als wäre er aus Papier. Er sprang an den Fuß der Mauer hinauf und wischte mit seinem Schild eine auf ihn geworfene Lanze beiseite, so daß sie abprallte und zitternd im Boden steckenblieb; gleich darauf zuckte seine lange Lanze vor, schnell und tödlich wie ein Blitz. Der aufgespießte Schütze konnte gerade noch aufschreien, dann hatte Hektor ihn schon von der Mauer gezogen wie einen gespeerten Fisch und erledigte ihn unten mit einem brutalen Stoß und Ruck seines Schwertes.
Die anderen Trojaner sprangen von ihren Wagen. Etliche kamen bereits hinter Hektor aus dem Graben geklettert, wobei sie nicht nur Lanzen und Schwerter mitführten, sondern auch lange, an Schiffsplanken erinnernde Bohlen. Während ihre Kameraden vorne und die Bogenschützen auf der anderen Seite des Grabens die Griechen beschäftigten, begannen diese Männer, die Mauer zu untergraben, damit sie die Bohlen als Hebel ansetzen und Steine herausbrechen konnten. Einige wurden von Pfeilen durchbohrt und fielen, aber andere setzten das Vernichtungswerk fort. Paul wußte, daß es ihnen mit ausreichend Zeit gelingen würde – anders als die befestigten Mauern Trojas waren die Abwehranlagen des griechischen Lagers nicht dafür geschaffen, einer entschlossenen Belagerung standzuhalten.
Im Licht der steigenden Morgensonne sah Paul, wie die griechischen Verteidiger mal an diesen, mal an jenen Teil der improvisierten Mauer hasteten – je nachdem, wo die Trojaner in dem allgemeinen Chaos gerade das Übergewicht hatten und einzudringen drohten – und es immer nur mit knapper Not schafften, die Angreifer zurückzudrängen. König Agamemnon selbst machte in Begleitung des Helden Diomedes einen Ausfall über die Mauer, um Ajax zu retten, der fast alle seine Männer verloren hatte und in höchster Bedrängnis sein Heil nur noch darin suchen konnte, Trojaner mit einer ihrer eigenen Hebelbohlen zu Klump zu hauen. Diomedes hatte Paul bisher noch nicht kennengelernt, aber er hatte mehrere Leute von ihm als dem besten griechischen Kämpfer nach Achilles sprechen hören, und ein Blick auf den Mann sagte ihm, daß dieser ein Star und kein kleiner Nebendarsteller war. Hektor erspähte Agamemnon aus hundert Meter Entfernung, aber ehe er sich durch das Gewühl seiner eigenen, um ihr Leben kämpfenden Männer einen Weg bahnen konnte, hatten der griechische Heerführer und Diomedes den Hünen schon gerettet. Auf einer leidenschaftlich verteidigten Leiter kletterten alle zurück über die Mauer, und Hektor konnte nur noch vergeblich unten toben, mit der Lanze auf seinen großen
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