Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Ramsey.« Ihr Vater rieb sich die Schläfe. »Ich will nicht … mißtrauisch wirken oder starrsinnig, aber du verstehst sicher, daß das alles sehr rasch gekommen ist in den letzten paar Tagen.«
»Für mich auch«, sagte Ramsey und lachte. »Rasch ist gar kein Ausdruck.« Er griff nach der Rechnung. »Sicher, wenn ihr einen Abend für euch allein braucht, verstehe ich das vollkommen. Es gibt weiß Gott genug Arbeit, die auf mich wartet, und mit meinem Pad und einem Moteltisch ist es kein Problem für mich, den Abend sinnvoll zu verbringen. Aber ich kann nicht ewig hier in der Stadt bleiben, und ich muß wirklich unbedingt ein persönliches Gespräch mit Sellars führen.«
»Er … na ja, was das betrifft, solltest du dich auf was gefaßt machen. Er ist ein leicht erschreckender Anblick.«
Ramsey zuckte mit den Achseln. »Das erstaunt mich nicht. Nach den paar Gesprächen, die wir hatten, habe ich den Eindruck, daß er viel Zeit in geschlossenen Räumen verbringt.«
»Die letzten dreißig Jahre ungefähr.« Das kurze Auflachen ihres Vaters hatte einen scharfen Klang, dessen Grund Christabel nicht verstand.
»Na, wie dem auch sei, mir graut total bei dieser ganzen Geschichte, aber ich bin auch gespannt darauf, ihm leibhaftig zu begegnen – egal, wie er aussieht. Er muß ein ziemlich erstaunlicher Mensch sein.«
Ihr Vater lachte wieder, aber diesmal war der Ton eindeutig unfroh. »Tja, das ist das wirklich Interessante daran. Er ist im Grunde gar kein Mensch im üblichen Sinne des Wortes …« Er brach plötzlich ab und warf Christabel, die mit den Fersen gegen die Unterseite der Sitzbank buffte, einen Blick zu, als hätte er sich soeben erst erinnert, daß sie auch noch da war. Sein Gesicht war genauso wie damals, als er sich bei ihrer Mami darüber beklagt hatte, daß »die Zeit für den Weihnachtsmumpitz« schon wieder gekommen war, ohne mitzukriegen, daß sie auf dem Küchenboden saß, wo er sie nicht sehen konnte.
Christabel verstand nicht, was er damit meinte, und wollte ihn gerade fragen, als sie merkte, daß jemand direkt hinter ihrem Vater stand. Der Mann, der Catur Ramsey hieß, blickte mit ganz schmalen Augen zu dieser Person auf. Christabel drehte sich gleichzeitig mit ihrem Vater um. Im ersten Moment war sie völlig verwirrt, weil sie ein Gesicht vor sich sah, das sie gut kannte, so gut, daß sie gar nicht wußte, warum es ihr nicht richtig vorkam.
»So, hier bist du also«, sagte Captain Parkins. »Menschenskind, Mike, wenn du von der Bildfläche verschwindest, bist du wirklich weg. Ich hab ganz North Carolina nach dir absuchen lassen, und dann stellt sich raus, daß du mir in einen andern Bundesstaat entwischt bist.«
Christabels Papi war sehr blaß geworden. Einen Moment lang dachte sie, ihm wäre vielleicht nicht gut, so wie ihrer Mutter vor einiger Zeit, als sie erst darüber geredet hatten, ob Christabel vielleicht ein Brüderchen oder Schwesterchen bekommen sollte, und dann plötzlich kein Wort mehr darüber gefallen war. Noch tagelang war sie so grau im Gesicht gewesen wie Papi jetzt.
»Ron. Was zum Teufel machst du denn hier? Wie hast du mich gefunden?«
Captain Parkins machte eine vage Handbewegung. Ein paar Leute am Tisch gegenüber schauten sich nach dem Mann in Uniform um, dann wandten sie sich wieder ab. »Wir haben eine Fahndung nach dir eingeleitet und um Hilfe gebeten. Eine örtliche Polizeistreife hat dich gesehen und es uns gemeldet.«
»Was soll das?« Ihr Papi versuchte zu lächeln. Ihm gegenüber war Herr Ramsey sehr still geworden, aber seine Augen glänzten. »Kann man nicht mal ein paar Tage seine Ruhe haben, Ron? Du … du weißt doch, daß wir eine Zeit für uns brauchen. Ist irgendeine Katastrophe auf dem Stützpunkt passiert? Ich wüßte nicht, warum du sonst …«
»O ja, Katastrophe, so könnte man es nennen«, schnitt Parkins ihm das Wort ab. Jetzt, wo sie ihn näher anschaute, sah sie, daß er den gleichen verkniffenen Gesichtsausdruck hatte wie neulich, als er das letztemal vorbeigekommen war. »Unser alter Freund General Yak ist auf dem Kriegspfad. Er will dich persönlich sprechen – persönlich, verstehst du? –, und das heißt, daß alle Urlaubsvereinbarungen null und nichtig sind.« Seine Miene veränderte sich, als ob in eine starre Maske plötzlich Leben käme. »Tut mir leid, Mike, aber das ist ein Befehl von ganz oben, gegen den ich nicht das geringste machen kann. Ich weiß nicht, was los ist, und ich hoffe, daß ich immer noch dein Freund bin,
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