Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Mami. »Und bezahl bar. Ich bin in zwanzig Minuten wieder da. Aber wenn ich in einer halben Stunde noch nicht aufgetaucht bin, dann fahr einfach diese Straße weiter, bis du zum Traveler’s Inn kommst. Auch dort Barzahlung. Ich komm dann später nach.« Er lächelte plötzlich, und das war gut, denn Christabel hatte es nicht gefallen, wie ernst sein Gesicht gewesen war. »Und mampft mir nicht alle Nachttischpralinen weg.«
»Du machst mir angst, Mike«, sagte ihre Mami so leise, daß Christabel es kaum hörte.
»Keine Bange. Ich will bloß … Ich möchte nicht, daß wir irgendwas Dummes machen. Ich werde aus alledem immer noch nicht richtig schlau.« Er drehte sich auf seinem Sitz zu Christabel um. »Du tust, was deine Mutter sagt, okay? Ich weiß, im Moment ist alles ein bißchen komisch, aber es wird wieder gut werden.« Er sah den Jungen an, der den Blick erwiderte. »Das gilt auch für dich. Hör auf das, was die Señora dir sagt, dann gibt es keine Probleme.« Er warf seiner Frau die Schlüssel zu und stieg aus.
Während ihre Mutter losging, um dem Mann im Glaskasten Geld zu geben, beobachtete Christabel, wie ihr Vater um die Tankstelle herumging und verschwand. Sie wollte sich gerade abwenden, als sie ihn auf der anderen Seite wieder hervorkommen und über den Parkplatz zu einem Gebäude gehen sah, das ein großes Schild mit der Aufschrift Jenrette’s über der Eingangstür hatte. Es sah aus wie die Lokale, wo sie zu Mittag einkehrten, wenn sie sonst Ausflüge mit dem Auto machten, Restaurants, wo es am Tresen Kuchenstücke unter kleinen Glasglocken gab, und dabei kam Christabel der Gedanke an Essen. Ihr Vater ging hinein. Sie war irgendwie traurig, als die Tür hinter ihm zuklappte.
Es war alles sehr verstörend und verwirrend. Sie war froh, daß ihre Eltern Herrn Sellars kennengelernt hatten und daß sie seine Freunde sein wollten – das furchtbare große Geheimnis hatte sich langsam in ihrem Bauch angefühlt wie etwas Lebendiges, das niemals still lag. Doch seitdem sie sich kannten, war alles anders. Sie fuhren durch die Gegend, aber niemand sagte ihr, wohin, und Mami und Papi hatten immer noch häufig heftige Wortwechsel im Flüsterton. Außerdem war da noch die komische Sache, daß Herr Sellars sich versteckte und zusammengerollt hinten in dem kleinen Fach lag wie eine von diesen ägyptischen Mumien, die Christabel einmal in einer echt interessanten und gruseligen Sendung im Netz gesehen hatte, bis ihre Mutter gemerkt hatte, daß sie etwas über Tote guckte, und sie auf einen anderen Knoten umschalten mußte, damit sie keine Albträume bekam. Aber genau so sah das aus, nur daß er nicht tot war. Sie wußte nicht so recht, was sie davon halten sollte.
Ihre Mutter führte ein langes Gespräch mit dem Mann im Glaskasten. Vielleicht war es nicht so einfach, mit Papiergeld zu bezahlen – Christabel hatte ihre Mutter das noch niemals tun sehen, aber Papi hatte vor ihrer Abfahrt eine ganze Menge davon aus der Bank geholt, ein dickes Bündel Scheine mit Bildern drauf, genau wie in alten Comics.
»’ase Bammel, deine Mama ’aut ab und bise allein mit mir?« sagte der gräßliche Junge hinter ihr, Cho-Cho. »Klebse mit Nase an Scheibe, seit se weg ist, mu’chita. Meinse, ich freß dich oder was?«
Sie guckte ihn mit ihrem bösesten Gehweg-Blick an, aber er grinste bloß. Er sah jetzt, wo er sauber war und andere Sachen anhatte, kleiner und nicht mehr so zum Fürchten aus, aber die Zahnlücke störte sie. Er machte ständig den Eindruck, wenn er nahe genug war, würde er zubeißen.
Sie wußte nicht genau, warum, aber sie zog plötzlich die Autotür auf und sprang hinaus. »Du bist doof«, sagte sie zu dem Jungen, knallte die Tür zu und rannte zu ihrer Mutter.
»Was willst du, Herzchen?«
Sie konnte nicht recht erklären, warum sie ausgestiegen war, deshalb sagte sie: »Ich muß mal aufs Klo.«
Ihre Mutter fragte den Mann im Glaskasten etwas, und der deutete auf die Seite des Gebäudes. Ihre Mutter runzelte die Stirn. »Ich will nicht, daß du da alleine reingehst«, meinte sie. »Und ich hab die Hände voll. Siehst du das Restaurant da drüben? Wo ›Jenrette’s‹ draufsteht? Da gehst du hin und fragst, ob du die Toilette benutzen darfst. Sprich nicht mit Fremden außer mit den Frauen hinter der Theke. Verstanden?«
Christabel nickte.
»Und komm gleich wieder. Ich warte, bis du drin bist.«
Christabel hüpfte über den Parkplatz, und einmal drehte sie sich um und winkte. Der Wagen sah weit
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