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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Mädchen wand sich und wimmerte, aber Paul beachtete sie nicht. »Ava … Avialle. Du bist am Strand zu mir gekommen, als ich zum Unterweltsherrscher gebetet habe, aber von allen Orten in dieser Welt ist dies hier deine Stätte.« Er versuchte, sich auf die einfache, beschwörende Art zu besinnen, mit der !Xabbu vorher gesprochen hatte. »Ich brauche dich, Ava, du mußt zu mir zurückkommen, noch dieses eine Mal. Komm zu mir!«
    Er konnte fühlen, wie die anderen die Luft anhielten, wie sie warteten und sich fragten, ob er tatsächlich einen Plan verfolgte oder lediglich unter dem Druck den Verstand verloren hatte, aber obwohl der Raum vor gespannter Erwartung förmlich vibrierte, geschah nichts. Ein Lachen ertönte so nahe aus dem Tunnel, daß einige der anderen zusammenzuckten.
    »Verdammt nochmal, Ava! Eine Welt nach der andern hab ich durchquert, hab nach dir gesucht. Du hast gesagt, ich soll kommen, und jetzt bin ich da. Ich brauche dich – wir alle brauchen dich. Komm zu uns! Wofür du mich auch haben willst, was es mich auch kostet, egal, aber es muß jetzt sein! Jetzt!«
    Die Luft über dem alten Altar begann sich zu verdichten und zu verformen wie ein Hitzeschleier über einer Wüstenstraße. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde dort eine weibliche Gestalt erscheinen und sich wie ein Schmetterling entfalten – im Fackelschein sah man schimmernde Augen, Umrisse von Schultern und gespreizten Fingern –, aber irgendeine entscheidende Verbindung kam nicht zustande. Die Gestalt blieb amorph und waberte in der Luft wie Rauch.
    Während die aus dem Irrgang hinter ihnen dringenden Stimmen sich zum Greifen nah anhörten, schienen die folgenden Worte Millionen Meilen weit durch den leeren Raum zu ihnen herabzuschweben.
    »… Ich … nicht nochmal … zu spät …«
    Das Mädchen, das sich Emily nannte, wand sich mit krampfartig tretenden Beinen vor Martine am Boden, die Hände vor den Mund gehalten, als wollte sie ihr Stöhnen dämpfen. T4b bemühte sich, sie zu beruhigen, aber sie wurde offensichtlich von einem Anfall geschüttelt.
    »Du mußt«, sagte Paul. »Wir sitzen hier in der Falle. Was du von uns willst, wirst du sonst nicht bekommen. Komm zu uns, Ava. Komm zu mir.«
    »Dann muß … Stück … Spiegels zurücknehmen …«
    Er konnte sich nicht vorstellen, was er ihr an diesem alles entscheidenden Punkt nicht gegeben hätte. »Nimm es. Egal was, nimm es – oder sag uns, wie wir es besorgen können. Tu, was du tun mußt, aber mach schnell!«
    Urplötzlich sprang Emilys ersticktes Jammern eine Oktave höher und wurde zu einem schrillen Schrei des Grauens und der Qual, der durch Pauls Konzentration schnitt wie ein rostiges Messer. Der zuckende Körper des Mädchens wurde steif. Ihre Augen weiteten sich und quollen hervor, als wollten sie ihr aus dem Kopf springen, und ihr Gesicht drehte sich langsam und ruckweise Paul zu.
    »Du …«, würgte Emily zwischen blau werdenden Lippen hervor. »… Mein Baby …!« Dann bäumte sich das Mädchen noch einmal auf wie ein Fisch an der Angel, der an die tödliche Luft gezerrt wird, und eine flirrende Welle floß von ihr zu dem schimmernden Schattenriß über dem Altar. Im nächsten Moment fiel sie grau und schlaff mit dem Gesicht vornüber auf den Stein.
    »Emily!« kreischte T4b auf und riß sie hoch in seine Arme, wo sie leblos baumelte.
    Die Gestalt über dem Altar gewann jetzt körperliche Dimensionen und formte sich zu dem Traumwesen aus, das Paul so gut kannte, doch es erfüllte ihn nicht mit Freude. Es war klar, was er ihr ahnungslos zu nehmen gestattet hatte, und obwohl es vieles gab, was ihm unfaßbar blieb, war das, was er verstand, erschütternd genug.
    Sie war schön wie eine Göttin, diese Ava, ein vollkommener Engel. Sie führte die Arme über den Kopf und zog dabei glitzernde Lichtspuren durch die Luft, die wie Flügel aussahen. »Es ist spät«, sagte sie, und ihre Stimme klang jetzt ganz nahe. »Ihr solltet ihn eigentlich ersteigen – ihr solltet selbst euren Weg finden …«
    Noch während sie diese rätselhaften Worte sprach, entstand über ihrem Kopf ein Leuchten, ein gleißendes rotes Strahlen, eingerahmt von ihren erhobenen Armen. Sie führte die Arme langsam nach unten, und das Leuchten breitete sich aus, bis es den Anschein machte, daß die Wände des Raumes, das Labyrinth, ja das ganze große Troja sich hinter ihr aufgelöst hatten und einem kohlschwarzen Himmel gewichen waren, mit Sternen, die selbst die hellen Himmelslichter des

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