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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Heldenzeitalters wie funzlige Kerzen erscheinen ließen. Vor den ungläubigen Augen von Paul und seinen Begleitern schälte sich ein hoch in die Nacht aufschießendes, das Gesichtsfeld übersteigendes Gebilde heraus. Es war eine unnatürlich verzerrte, umwölkte Form, deren von Blitzen umflackerte Nebengipfel einen dunkelroten, glasigen Schein hatten, doch deren Hauptmasse schwarz, schwarz, schwarz war.
    »Der schwarze Berg …«, flüsterte Paul. Neben ihm murmelte auch Orlando vor sich hin.
    »Es ist spät.« In der Stimme des Engels schwang Erschöpfung und Bedauern. »Vielleicht ist es zu spät.« Sie hob wieder die Arme hoch. Der Anblick des unmöglichen schwarzen Gipfels blieb, aber wo ihre schwach flimmernden Hände sich durch die Luft bewegten, pulsten auf einmal Linien aus geschmolzenem Gold. Im nächsten Moment war die Frau verschwunden; wo sie gestanden hatte, bauschte sich ein schmales Oval aus goldenem Feuer in einem nicht zu spürenden Wind.
    Renie machte einen zögernden Schritt auf das Licht zu. »Es … ist ein Gateway.«
    »Ja und nein.« Martine hörte sich genauso überwältigt wie sie an. »Es fühlt sich nicht an wie die anderen Gateways, aber es ist offensichtlich ein Durchgang irgendwohin.«
    »Ihr müßt euch beeilen.« Die Stimme kam jetzt von überall. »Das ist alles, was ich hier noch habe … aber es wird euch … zum Kern …«
    Ihre kristallklaren Töne erstarben; Paul konnte nicht erkennen, ob das nächste Wort »des« oder »der« gewesen war.
    Er zwang sich, auf das pulsierende Licht zuzutreten. Die Erscheinung des schwarzen Berges lag immer noch dahinter, doch sie wurde merklich trüber. »Wir sollten lieber …«, begann er, da bekam er einen harten Stoß in den Rücken und flog in das goldene Feuer.
    Paul hatte schon mehrere Gateways passiert, zu Lande und zu Wasser, aber auch abgesehen von der Plötzlichkeit des Eintritts war dies das merkwürdigste. Zuerst war es, als befände er sich in einem endlosen Tunnel leuchtender bernsteingelber Flammen, aber gleichzeitig schien er selbst Feuer zu sein – der Tanz der unbändigen Energie durchtobte ihn, drohte ihn in ein größeres und völlig blindwütiges Schöpfungschaos aufzulösen. Während er darum rang, die Form zu bewahren, die Paul Jonas war und die er um keinen Preis loslassen wollte, auch wenn er letztlich nicht wußte, welche Kraft sie zusammenhielt, wirbelten Gedankenfetzen durch ihn hin. Es konnten Erinnerungen sein, zerstreute Schnipsel, die ein innerer Wind aufwehte, doch sie kamen ihm nicht recht bekannt vor …
     
    Vögel … wie eine Rauchwolke aufwallend … über den Himmel schwärmend.
     
    Ein Regen funkelnder Eissplitter, die in der Sonne glitzerten, ein zerschmettertes Kaleidoskop …
     
    Ein Schatten in einer kalten, leeren Räumlichkeit, der wartete … wartete … und sang …
     
    Mehr Vögel strömten zusammen, ganz viele Schattenvögel, riefen einander mit den Stimmen von Kindern durch die Dunkelheit zu, klagten gemeinsam an einem wüsten Ort …
     
    Und als ob sich die Flammen alles geholt hatten, was an ihm zu verzehren war, und jetzt erstarben, wurde das endlos scheinende turbulente Leuchten mit einemmal schwächer. Dunkle Stellen erschienen, Formen von fiktiver Festigkeit, ein Gefühl von oben und unten. Die goldenen Flammen leckten noch einmal an Paul und verzogen sich dann, kühl wie schmelzender Schnee, und er wurde sich bewußt, daß er auf einem harten, ebenen Untergrund stand, links von sich eine große schwarze Wand und rechts das Gefühl eines gähnenden Abgrunds. Da traf ihn der nächste Stoß und schleuderte ihn zu Boden, und jemand warf sich auf ihn, schloß die Hände würgend um seinen Hals und rollte mit ihm herum.
    »Geext!« schrie eine Stimme ihn an. »Total geext hast du sie!« Pauls Gesicht wurde mit roher Gewalt auf kalten Stein gepreßt; er konnte seinen Angreifer nicht sehen. Er versuchte verzweifelt, auf die Beine zu kommen, was ihm nicht gelang, aber er schaffte es immerhin, sein Gewicht so weit zu verlagern, daß er einen Arm unter die Brust schieben, sich ein kleines Stück hochdrücken und mit der anderen Hand die Finger an seinem Hals lockern konnte.
    Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, und in seiner ungünstigen Lage konnte er kaum etwas dagegen machen. Schlimmer als der Schmerz jedoch war das, was er sah: Er wand sich hart am Rand eines fast senkrechten Steilabfalls, in die Zange genommen von den Schenkeln seines Bedrängers, der auf ihm saß wie auf einem

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