Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen, als wären sie durch das Starren auf etwas müde geworden. »Ich glaube nicht. Vielleicht war es bloß eine seltsame Laune dieses Environments. Eine Reflexion vielleicht, etwas wie ein Echo des echten !Xabbu .«
Renie konnte nicht anders als den unheimlichen Gedanken mitzuteilen, der sich ihrer bemächtigt hatte. »Vielleicht ist das … dieser Ort. Der uns beobachtet, uns analysiert, Kopien von uns macht.«
»Doppelgänger«, sagte Florimel sinnierend.
Renie nickte. »Sowas in der Art. Aber die Vorstellung gefällt mir gar nicht.« Sie erschauerte und blickte sich um. »Ich weiß, wir haben schon drüber abgestimmt, und ich möchte die Entscheidung nicht umstoßen, aber mir war dieser Ort von Anfang an nicht geheuer, und jetzt noch weniger als vorher.« Was sie nicht sagte und jetzt, wo ihre Gefährten sie besser kannten, vielleicht auch nicht sagen mußte, war, daß sie sehr heftig den Drang verspürte, etwas zu tun – das Bedürfnis bummerte in ihr wie ein Trommelschlag.
»Das wissen wir, Renie«, sagte Martine begütigend. »Aber wir können ohnehin nichts tun, ehe die anderen wieder da sind.«
Renie setzte gerade an, etwas zu entgegnen, da fiel ihr unversehens eine Gespenstergeschichte ein, die ihre Großmutter ihr früher von einem Sterbenden erzählt hatte, dessen Geist seinen Angehörigen in der Ferne genau im Augenblick seines Todes erschienen war. Sie bekam einen derartigen Schreck, daß sie eine Weile nichts mehr sagen konnte.
Ihr fiel ein solcher Stein vom Herzen, als !Xabbu und die anderen zu guter Letzt zurückgestapft kamen, daß sie den Mann im Paviansim stürmisch umarmen und ihn dann immer wieder einmal kurz anfassen mußte, während die drei von ihrem Erkundungsgang berichteten.
»… Im Grunde genommen«, sagte er, »haben wir in allen vier Richtungen, in die wir wanderten, nichts gefunden außer gewissen kleinen Merkwürdigkeiten wie das Tier, das T4b und Florimel gestern sahen, und ein paar Sachen, die mir auffielen.«
»Der Affenmann ist über so Luft gestolpert«, erklärte T4b höchst vergnügt.
»So war es nicht«, sagte !Xabbu , der sich vielleicht ein wenig in seiner Ehre gekränkt fühlte. »Vielmehr habe ich entdeckt, daß es außer Stellen, wo der Boden sich heikel anfühlt oder wo wir durch vor uns befindliche Dinge hindurchfassen können, auch Stellen gibt, wo die Luft gewissermaßen fest geworden ist. Wenigstens ist sie dicker, als Luft eigentlich sein sollte, als ob sie … mir fällt kein Wort dafür ein. Als ob sie im Begriff wäre … etwas zu werden.«
»Was heißt das?« Renie war über !Xabbus glückliche Rückkehr so erleichtert, daß es ihr schwerfiel, sich zu konzentrieren.
»Bestimmte Stellen sind für uns unsichtbar, und andere lassen sich nicht anfassen, obwohl kein Grund dafür zu erkennen ist.« Er hob die Hände zum Zeichen, daß er keine bessere Erklärung hatte.
»Wir können unseren Sinnen nicht völlig trauen, das scheint die Lektion zu sein«, sagte Florimel energisch. »Das war bisher überall in diesem Netzwerk so, wenn auch auf andere Weise.«
»Aber hier ist es nicht dasselbe, und das weißt du auch.« Renie fand Florimel etwas sympathischer, seit sie ihre Lebensgeschichte erzählt hatte, aber etwas an der Art der Frau stieß ihr trotzdem noch ab und zu auf. »Wir haben hier etwas erlebt, was du wissen solltest, !Xabbu .« Sie berichtete ihm kurz von dem Phantompavian. Die Sache schien ihn betroffener zu machen, als sie erwartet hatte, und dadurch fielen ihr ihre eigenen Ängste wieder ein.
»Ihr habt also jemand mit meiner Gestalt gesehen«, sagte er und nickte langsam. »Aber er hat nicht mit euch geredet.«
»Geredet? Er hat sich nicht mal bewegt, erst kurz bevor er verschwand.« Seine bekümmerte Miene gefiel ihr gar nicht. War er verstört, weil sie die Erinnerung an eine seiner Schauergeschichten in ihm geweckt hatte? »Martine meint, es könnte eine Art Reflexion sein.«
»Wie ein Echo oder eine Luftspiegelung«, ergänzte die blinde Frau. »Vielleicht ist Luftspiegelung das bessere Bild, weil sie durch eine Lichtbeugung entsteht.«
»Vielleicht.« Der Mann im Affensim klang gedrückt.
»Es könnte auch sowas sein wie die Sache, die uns auf dem Schiff mit Azador passiert ist«, sagte Renie plötzlich. »Diese merkwürdige Störung, als alles auseinanderzufallen schien.« Was im Grunde gar nichts erklärte, begriff sie, sondern nur ein weiteres Beispiel für ihre Ahnungslosigkeit
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