Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Ehrenwort.«
Das Mädchen reichte ihr widerwillig den Edelstein. Emily hatte recht – es war in der Tat zu dunkel, um viel zu erkennen. Renie drehte ihn in den Fingern, fühlte seine Härte und Schwere, seine Facetten. »Hat es je was gemacht?«
»Wie, gemacht?«
»Ich weiß nicht – sich verändert. Mit dir geredet. Dir Bilder gezeigt.«
Emily kicherte. »So’n Quatsch! Das geht doch gar nicht!«
»Kann sein.« Sie gab es zurück. »Kann ich es mir nochmal anschauen, wenn wir wieder Licht haben?«
»Okay.« Emily amüsierte sich immer noch über die Vorstellung eines redenden Juwels. Als Renie zu den anderen zurückkrabbelte, wuchs unter !Xabbus emsig tätigen Händen gerade eine kleine Flamme empor.
Der Buschmann nahm drei abgebrochene Tischbeine und hielt sie mit den gesplitterten Enden ins Feuer, bis sie brannten, dann reichte er eines Renie, eines Florimel, und eines behielt er selbst. Als die Fackeln aufflammten, breitete sich gelbes Licht bis zu den Wänden aus, so daß sie den Raum erkennen konnten. Er war so groß, wie Martine gemeint hatte, ein weitläufiger Saal mit hoher Decke wie in einem alten Palast - Renie malte sich aus, wie juwelengeschmückte adelige Damen aus irgendeinem Kostümschinken im Netz unter dem momentan leider verstaubten Kronleuchter mit den Fächern wedelten und tratschten. Große Gemälde hingen hoch an den Wänden, aber entweder war der Fackelschein zu trübe, oder die Bilder waren zu alt, jedenfalls waren in den klotzigen Rahmen nur undeutliche Umrisse sichtbar. Einzelne Möbel standen hier und da auf dem mit Teppichen ausgelegten Fußboden, so als ob der Raum einst ein Lesesaal oder ein überdimensionaler Salon gewesen wäre, aber wie !Xabbu schon berichtet hatte, waren viele Möbel kaputt, wobei die Ursachen hohes Alter und Vernachlässigung zu sein schienen, nicht menschliche Gewalteinwirkung.
Florimel starrte zu der hohen Decke hinauf. »Der Raum ist irrsinnig groß. Wie ein Bahnhof! Ich glaube nicht, daß ich je in einem so großen Saal war. Was für ein Palast das wohl sein mag?«
»Irgendso ’n scänscheiß Draculaschuppen«, ließ sich T4b vernehmen. »Hab sowas mal in Entfesselte Vampiressen: Lutschmilla und ihre Schwestern gesehn.«
»In einem hat T4b recht«, sagte Renie. »Ich hab schon erfreulichere Räumlichkeiten gesehen. Meint ihr, das Ganze ist eine Ruine? Oder könnte hier noch jemand wohnen?«
Emily stand plötzlich auf und trat näher an die übrige Gruppe heran. »Ich weiß, was für ein Ort das hier ist.« Ihre Stimme klang gepreßt. »Es sind Augen in den Wänden.«
»Martine, ist irgendwer in der Nähe?« fragte Renie. »Beobachtet uns wer?«
»Soweit ich sagen kann, nicht.« Die blinde Frau schüttelte den Kopf. »Die Information ist hier sehr statisch. Dem Anschein nach ist es schon eine ganze Weile unbewohnt.«
»Gut.« Renie stand mit erhobener Fackel auf. »Dann denke ich, wir sollten anfangen, uns umzusehen. Wenn wir einfach hier rumsitzen, finden wir Quan Li nie – den Spion, meine ich.«
Niemand war von der Idee begeistert, aber es brachte auch niemand sinnvolle Einwände vor. !Xabbu brach von noch ein paar kaputten Stühlen Beine als Ersatzfackeln ab und stampfte daraufhin das Lagerfeuer aus, wobei er ein kleines durchgebranntes Loch in dem alten Teppich hinterließ, für das Renie sich irgendwie schämte. Sie traten den Weg durch den düsteren Raum an.
»Dicht zusammenbleiben«, ermahnte Renie. »Wir wissen nicht, was diese Simulation darstellen soll. T4b könnte recht haben, es könnte Vampire oder sowas geben.«
»Augen«, wiederholte Emily leise. Renie fragte sie, was das heißen solle, aber das Mädchen schüttelte nur den Kopf.
Es dauerte ungefähr eine Viertelstunde, bis sie sich vorsichtig durch den großen Saal bewegt hatten. Unterwegs untersuchten sie viele der zerfallenden Einrichtungsgegenstände, ohne dem etwas Wesentliches entnehmen zu können. Mobiliar und Zierat sahen nach dem europäischen Barock aus, aber es gab andere Elemente, die wahrscheinlich aus einer früheren Epoche stammten, und einige – etwa eine Tafel mit der wenig wirklichkeitstreuen Holzschnitzerei einer Eisenbahn –, die eindeutig später waren. Renie meinte auch, ganz oben an einer der Wände eine Reihe verstaubter elektrischer Strahler zu erspähen, aber bei der Dunkelheit konnte man nicht sicher sein.
Sie traten durch die hohe, breite Flügeltür am Ende des Saales, Florimel an der Spitze zusammen mit T4b, der immerzu seine neue Hand
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