Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
beziehungsweise der Geierkopf seiner ägyptischen Inkarnation Tefi. »Ja, o Herr?«
Jongleur stutzte. »Wo ist der Priester? Was machst du dort?«
»Ich nehme deine Interessen wahr, o Herr über Leben und Tod.«
»Es gibt allerdings Interessen von mir, die du wahrzunehmen hast, aber ich wüßte nicht …« Ein jäher Verdacht durchzuckte ihn und damit ein Schauder gespannter Erwartung. »Ist es Jonas? Habt ihr ihn erwischt?« Eine wahrscheinlichere, aber immer noch hoffnungsvolle Erklärung fiel ihm ein. »Oder habt ihr ihn etwa in meinem Ägypten geortet?«
Der Geierkopf senkte sich. »Ich muß leider gestehen, daß wir seinen gegenwärtigen Aufenthalt nicht kennen, Herr.«
»Zum Donnerwetter! Dann sucht gefälligst nach ihm! Habt ihr vergessen, was ich jederzeit mit euch machen kann, wenn mir danach ist?«
Ein heftiges Schnabelschütteln. »Wir vergessen nichts, Herr. Wir müssen bloß … ein paar Kleinigkeiten in Ordnung bringen, dann nehmen wir die Fährte sofort wieder auf. Wirst du uns bald mit deiner Gegenwart beehren?«
Jongleur schüttelte den Kopf. »Später. Aber …« Er blickte auf die Anzeige mit den Ziffern der Greenwicher Zeit, immer noch Wahrzeichen der Weltherrschaft, auch wenn das britische Seereich längst auf eine einzige träumende Insel zusammengeschrumpft war. »… Aber heute vielleicht nicht mehr. Bei den ganzen Sitzungen, die noch anstehen, würde es mich zu sehr ablenken.«
»Sehr wohl, Herr.«
Felix Jongleur zögerte. War das Erleichterung, was er da in der unmenschlichen Miene seines Dieners sah? Aber solche Befürchtungen konnten nicht so wichtig sein wie die Entscheidung, die er treffen mußte, und die Zeit für diese Entscheidung wurde langsam knapp. Er brach die Verbindung ab.
Was nun? Sollte … sollte er den Andern fallenlassen? Sollte er die Apep-Sequenz auslösen? Er konnte natürlich nichts unternehmen, solange er von Wells keine Garantien bekam, und dazu würde er den Telemorphix-Ingenieuren sein gesamtes System offenlegen müssen. Es schauderte Jongleur bei dem Gedanken. Grabräuber. Leichenschänder. Aber gab es eine Alternative?
Wieder wünschte er sich einen Menschen, nur einen einzigen, dessen Rat er trauen konnte. Vor einiger Zeit hatte er noch gehofft, der Aboriginemischling Johnny Wulgaru könnte ein solcher Mensch werden – seine Intelligenz und seine vollständige Gefühllosigkeit hatte Jongleur gleich bei der ersten Begegnung in der sogenannten Privaten Jugendaufsicht in Sydney erkannt, einer Verwahranstalt für verkorkste Kinder. Aber wie sich herausgestellt hatte, war der junge Dread zu wild, um sich gänzlich zähmen zu lassen, und zu sehr seinen Raubtiertrieben unterworfen, um jemals wirklich vertrauenswürdig zu sein. Er war ein nützliches Werkzeug, und wenn er sich am Riemen riß, wie es gerade den Eindruck machte, dachte Jongleur sogar daran, ihm ein wenig mehr Verantwortung zu übertragen. Bis auf die lästige Sache mit der Stewardeß – ein Mord, der nach Informationen von Jongleurs Agenten von der kolumbianischen Polizei und IntPol als ungelöst und wahrscheinlich unlösbar zu den Akten gelegt worden war – gab es keinerlei Anzeichen von Fehlverhalten. Aber ein Kampfhund, das war ihm inzwischen klar geworden, konnte niemals ein zuverlässiger Partner werden.
Früher hatte er auch einmal überlegt, ob Finney es vielleicht verdiente, von Jongleur ins Vertrauen gezogen zu werden, trotz seiner absonderlichen Beziehung zu dem fast schon untermenschlichen Mudd.
Aber mit der Nacht der Scherben war das anders geworden – war alles anders geworden.
Jongleur seufzte. In dem Festungsturm hoch über dem Lake Borgne meldeten die Systeme seinem Gehirn imaginäre Muskelbewegungen, veränderten geringfügig das O 2 /CO 2 -Verhältnis und vollzogen die sonstigen Einstellungen, um die Erfahrung der Bekörperung nahezu perfekt zu imitieren, auch wenn immer eine fast unmerkliche Differenz blieb.
Kapitel
Das Haus
NETFEED/MODERNES LEBEN:
Sepp Oswalt tödlich verunglückt
(Bild: Oswalt lächelnd vor DP-Publikum)
Off-Stimme: Sepp Oswalt, der liebenswerte Moderator der »Death Parade«, kam bei Dreharbeiten für die Sendung ums Leben, als ein Bauarbeiter, der in einem Anfall geistiger Umnachtung gedroht hatte, ein Gebäude zu zerstören, versehentlich eine Kranladung Stahlträger auf Oswalt und sein Kamerateam kippte. Obwohl Oswalt und sein Team getötet wurden, hielten die automatischen Sicherheitskameras des Gebäudes den bizarren Unfall fest, so daß die
Weitere Kostenlose Bücher