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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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man die Gefangenen geworfen hatte, aber die Dunkelheit schärfte Pauls Sinne, und so meinte er, auch in den Seitengängen schnatternde Stimmen zu hören. Es war nicht vollkommen dunkel; in einem der Gänge brannte ein Feuer oder sonst ein Licht, das die krabbelnden Kerkermeister und ihr Nest so weit erhellte, daß Paul einsehen mußte, wie aussichtslos jeder Gedanke an Flucht war.
    Die Bestien handelten nicht aus menschlicher Bosheit. Er mußte sich das immer wieder vorhalten, um das Grauen ein wenig zu dämpfen und die Glut der Hoffnung nicht ganz ausgehen zu lassen. Die Spinnenbisons ließen in der Art ihres Vorgehens kaum eine oder gar keine Ordnung erkennen und waren sichtlich Opfer gewohnt, die entweder betäubt oder schon tot waren. Sie hatten T4b grob zurückgestoßen, als dieser versucht hatte, aus der Grube herauszuklettern, doch ansonsten hatten sie keinerlei Vorkehrungen gegen eine Flucht getroffen. Es waren auch keine weiteren Vorkehrungen nötig: Sie waren mehr als zehnmal so viele wie Paul und seine Freunde und einzeln mindestens so stark wie ein Mensch.
    Es hatte keinen Zweck, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was diese Wesen eigentlich waren, ob sie vielleicht irgendwelche Schwächen hatten. Sie waren einfach das Produkt einer perversen, möglicherweise beabsichtigen Veränderung der Simwelt, vielleicht lag sogar ein grausamer Witz in ihrer Ähnlichkeit mit den Bisons des amerikanischen Westens, die man ihrer Felle wegen ausgerottet hatte, indem man sie zu Tausenden massakrierte, abhäutete und dann auf der Prärie verfaulen ließ. Auf jeden Fall waren sie groß, flink, skrupellos und hatten offensichtlich eine Vorliebe für Menschenfleisch. Menschliche Gebeine waren der knirschende Bodenbelag auf den Gängen und in noch größerer Menge hier in der Grube, und weiter unten in den schwarzen Tiefen des abschüssigen Loches wurden es noch mehr.
    Wie zur Bestätigung dieser Tatsache stieß Paul mit der Hand plötzlich auf etwas Scharfes. In der Erwartung, den nächsten Kinnbacken zu finden, betastete er es, doch es war klein, viereckig und hart. Als er es in den schwachen Lichtschein hielt, stellte es sich als eine rostige Gürtelschnalle heraus, verbogen, als ob der noch umgeschnallte Gürtel mit großer Gewalt aufgerissen worden wäre. Paul drehte sich der Magen um. Es war nicht schwer, sich die gierige Hast vorzustellen, mit der die wilden Zottelbestien über das zarte Fleisch darunter hergefallen waren.
    Verzweiflung überkam ihn wie ein kalter Regenguß. Was konnten sie tun? Diese Ungeheuer mit den bloßen Händen und einer Gürtelschnalle bekämpfen? Oder sich einen Kinnbacken greifen wie Simson und ihre Feinde damit erschlagen?
    Ich bin aber kein Simson, verdammt nochmal!
    »Paul?« Es war Florimel ein kleines Stück weiter oben. »Bist du da? Du hast so ein Geräusch gemacht. Hast du dir weh getan?«
    »Ich bin nur mit der Hand an etwas gekommen.« Er blickte nach oben auf die im Halbdunkel herumhuschenden grotesken Mutanten – wahrscheinlich damit beschäftigt, auf ihre Art den Tisch zu decken – und versuchte, sich die völlige Mutlosigkeit nicht anhören zu lassen. »Hast du irgendwelche Ideen?«
    Er konnte sie nicht sehen, aber die Resignation in ihrer Stimme war unverkennbar. »Nein. Ich kann kaum kriechen. Ich bin hart gelandet, als wir vom Wagen gefallen sind.«
    »Wie geht’s den andern?«
    »Martine lebt, aber ich glaube, sie hat sich auch was getan. Sie ist da drüben und redet ganz leise mit sich selbst. T4b … T4b betet.«
    »Er betet?« Das erstaunte ihn, doch er konnte nicht behaupten, daß er eine bessere Idee hatte.
    »Diese Monster sind so viele, und wir sind alle mit den Kräften am Ende. Ich habe Angst, Paul.«
    »Ich auch.«
    Florimel verstummte. Paul sah keinen Grund, sie zum Reden zu animieren. Es wäre etwas anderes gewesen, wenn sie einen Plan gehabt hätten, aber für billige Aufmunterungen war die Situation zu trostlos.
    Dann hab ich wohl jetzt den Schwarzen Peter, was? Ich muß mir was einfallen lassen. Dabei bin ich der einzige, der sich nicht freiwillig in dieses Scheißnetzwerk begeben hat. Wenigstens bildete er sich das ein – er hatte keine Erinnerung daran, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß er so etwas gesagt hatte wie: »Ach, und wenn du mal einen Moment Zeit hättest, Herr Jongleur, wie wär’s, wenn du mich in eine Simulation des Ersten Weltkriegs einsperren und mich ein bißchen foltern würdest, ja?«
    Aber warum dann? Er war ein Niemand,

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