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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Dreck die Waffe nicht untauglich gemacht hatten.
    Er zögerte. Der Erfolg hatte einen Spielertrieb in ihm geweckt, der ihn drängte, weiter hinunterzusteigen und sein Glück zu versuchen. Vielleicht fand er dort unten ja genug Revolver, um die ganze Mannschaft damit auszurüsten. Dies hier war schließlich Dodge City, viele der hierher verschleppten Opfer mußten bewaffnet gewesen sein. Mit etwas Glück stieß er auf etwas, das noch wirkungsvoller war. Er mochte nicht daran glauben, daß in den moderigen Tiefen des Loches ein Gatling-Maschinengewehr lag, aber eine Schrotflinte war doch im Bereich des Möglichen. Paul wußte sogar, wie man damit umging, denn er hatte mehrere Jagdwochenenden in Staffordshire mit Niles und seiner Familie durchlitten, bevor er den Mut aufbrachte, sich und dann Niles zu gestehen, daß er nie wieder mit einer Gruppe von Leuten im kalten Moor herumstehen wollte, die unter fröhlicher Geselligkeit verstanden, daß man sich betrank und kleine Tiere in Fetzen ballerte.
    Wobei er durchaus nichts dagegen hätte, die über ihm herumhüpfenden Viecher in Atomteilchen zu zerstäuben, nicht das geringste. Eine Schrotflinte hätte bestimmt eine festigende und beruhigende Wirkung auf ihn, denn damit müßte er nicht seine ganze Hoffnung auf das Funktionieren eines Revolvers setzen, der möglicherweise schon seit Jahren, oder was dem in dieser Simwelt entsprach, hier im Dunkeln vor sich hinrostete.
    Es war verlockend, aber er durfte das Risiko nicht eingehen. Er war fast fünfzig Meter von seinen Gefährten entfernt – was war, wenn die Bestien sie jetzt holen kamen? Er mußte ganz dicht herankommen, sonst war das Zielen in dieser Düsternis ein reines Lotteriespiel.
    Paul machte kehrt und kraxelte wieder die Steigung hinauf, wobei er die Knochen und verwesenden Reste, die er auf dem Weg nach unten so begierig gesucht hatte, jetzt mit wüsten Schimpfworten bedachte, wenn er auf ihnen ausglitt. Wie zur Bestätigung seiner schlimmsten Befürchtungen ließen sich oben am Rand der Grube eindeutige Anzeichen von Geschäftigkeit vernehmen: Die Spinnenwesen versammelten sich aufgeregt und putschten sich gegenseitig mit ihren hohen, halb verschluckten Rufen auf. Da hörte er Martine in panischer Angst aufschreien, und er rutschte aus und fiel hin. Vor Schreck vergaß er sogar das Schimpfen, während er auf allen vieren weiterrobbte wie ein Tier und dennoch darauf achtete, daß er den Revolver nicht mit dem Modder in Berührung brachte.
    »Ich komme!« rief er. »Macht euch bereit zu fliehen!«
    Oben angekommen sah er gerade noch, wie eine der Frauen – in dem Halbdunkel konnte er nicht erkennen, welche – von einigen zottigen Gestalten weggeschleift wurde, obwohl die beiden anderen ebenso heldenhaft wie aussichtslos versuchten, sie den Angreifern zu entwinden und zurückzuziehen. Als Paul neben sie trat, war er plötzlich nur einen Meter von der vordersten Bisonspinne entfernt, die ihm bei seinem unerwarteten Auftauchen ihr zerhauen wirkendes Gesicht zuwandte und ihn giftig anschielte. Sie überließ es ihren Genossen, Florimel zur Schlachtbank zu befördern, und grapschte mit grauenhaft langen Armen nach Paul. Er hob den Revolver und drückte ab. Der Hahn machte klick. Nichts geschah.
    Die horngepanzerte Pranke der Bestie traf ihn am Kopf und schleuderte ihn zurück. Der Revolver flog ihm aus der Hand in den dunklen Morast. Er sank auf die Knie, und die trüben Lichter und schwarzen Schatten flirrten vor seinen Augen, als sähe er sie durch Wasser. Das Scheusal, das ihm den Hieb verpaßt hatte, zögerte einen Moment, sichtlich hin- und hergerissen dazwischen, ihn vollends zu erledigen, und seinen Kollegen wieder beim Abtransport des ausgewählten Leckerbissens behilflich zu sein. In dieser Spanne weniger hämmernder Herzschläge raffte Paul sich soweit auf, daß er hinter dem Revolver herkriechen konnte. Obwohl er sicher war, daß es keinen Zweck hatte, wiederholte er das Anlegen und Abdrücken.
    Diesmal gab es einen Knall, als ob eine Bombe explodierte. Feuer schoß aus der Mündung, und gleichzeitig war der häßliche Schädel der Bestie mit einemmal weg. Ihre Artgenossen sprangen kreischend wie aufgescheuchte Möwen zurück, doch Paul konnte sie kaum hören, so sehr dröhnten ihm die Ohren.
    »Lauft!« Obwohl er laut schrie, klang ihm seine eigene Stimme weit entfernt, wie von Watte gedämpft. »Kommt!«
    Er packte die nächstbeste Hand, Martines, wie sich herausstellte, und zerrte sie den Hang hinauf.

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