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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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paar Dutzend europäische Typen wie Olga, und bei fast allen war Englisch die zweite Sprache.
    Während sie beim Umziehen zuhörte, wie die Frauen sich durch den muffigen Raum witzige Bemerkungen zuriefen, kam es Olga beinahe so vor, als ob dies tatsächlich ihr Leben wäre, als ob es die Jahre der Netzarbeit niemals gegeben hätte.
    »Mach, mach«, drängte Esther sie. »Schiff geht in fünf Minute.« Olga betrachtete ihr ausdrucksloses Gesicht auf der Marke, drehte das Hologramm ins Profil. Ich sehe aus wie eine alte Frau, dachte sie. Herrje, ich bin eine alte Frau. Worauf habe ich mich hier bloß eingelassen? Als sie sich ihren Rucksack griff und den Spind zudrückte, ging ihr durch den Kopf, daß sie diese Sachen wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Vielleicht hätte ich die Etikette heraustrennen sollen, wie in dem Krimi, den ich neulich gesehen habe. Aber wenn sie tatsächlich vorgehabt hätte, eine Frau ohne Vergangenheit zu sein, hätte sie sich wahrscheinlich bei einem Unternehmen einschleichen sollen, das nicht schon ihr Gesicht und ihren wirklichen Namen irgendwo in seinem Riesenbestand von Personaldaten gespeichert hatte.
    Sie klemmte den Rucksack unter den Arm und reihte sich in die Masse graugekleideter Frauen ein, die auf den Kai zuschoben.
     
    In diesem verrücktesten Monat in Olgas Leben stand das Treffen mit Catur Ramsey auf der Liste der Verrücktheiten zweifellos ziemlich weit oben. Es war allein schon merkwürdig gewesen, bei Slidell von der Straße auf einen Rastplatz abzubiegen und ihn dort auf einer Bank sitzen zu sehen – denselben jungen Mann, der, so schien es ihr, erst vor Tagen an ihrer Haustür geklingelt hatte, etliche tausend Meilen entfernt in einem anderen Land. Er hatte sie umarmt, und auch das hatte sie recht ungewöhnlich gefunden. Seit wann umarmten Anwälte die Leute, mit denen sie zu tun hatten? Selbst ein netter Anwalt wie Ramsey.
    Als dann der große, blonde Mann aus dem geparkten Van gestiegen war, war ihr vor Schreck fast das Herz in die Hose gerutscht. Er sah ganz nach einem Polizisten aus, und während der zehn Schritte, die er bis zum Tisch brauchte, war sie von der furchtbaren Gewißheit erfüllt gewesen, daß Ramsey sie verraten hatte – nur zu ihrem Besten, hätte er behauptet, aber am Verrat hätte das nichts geändert. Doch statt dessen hatte der Mann ihr nur die Hand gegeben, sich als Major Michael Sorensen vorgestellt und war zum Wagen zurückgegangen.
    Als könnte er ihre Gedanken lesen, hatte Ramsey zu ihr gesagt »Warte ab, es kommt noch viel toller.« Und als sie die Person sah, die Sorensen hinten aus dem Van hob, mußte Olga zugeben, daß er recht hatte.
    Sie hatten eine Stunde lang geredet, während unmittelbar hinter den Bäumen der Verkehr vorbeibrauste, aber Olga konnte sich nur noch an wenig erinnern. Der verschrumpelte Mann namens Sellars hatte so leise und bedächtig gesprochen, daß sie anfangs ein wenig eingeschnappt war, weil sie meinte, sie bekäme eine schonende Sonderbehandlung für psychisch Labile verpaßt. Nach einer Weile merkte sie, daß das einfach seine Art war und daß dieser erschreckend dünne Mann mit der faltigen Haut gar nicht tief genug atmen konnte, um laut zu sprechen. Und als sie seinen Worten schließlich zuhörte, entfachte das in ihr einen Funken freudiger Erleichterung. Bis dahin war ihr gar nicht bewußt gewesen, wie einsam sie geworden war.
    »Es ist mir immer noch nicht klar, wieso du diese Dinge erlebt hast, Frau Pirofsky«, hatte er gemeint, »aber was auch die Ursache sein mag, sie sind real. Selbst wenn ich den ganzen Tag Zeit hätte, könnte ich dir nicht sämtliche unglaublichen Entdeckungen schildern, die ich gemacht habe, seit ich mich genauer mit diesen Vorgängen beschäftige. Woher deine Stimmen auch kommen mögen, es kann kein Zufall sein, daß sie dich zu Jongleurs Turm geführt haben. Wir möchten dich bei deinem Vorhaben unterstützen, damit du die größtmögliche Chance hast, unbeschadet Licht in das Dunkel zu bringen, Licht, das wir selbst dringend brauchen, um eine gräßliche kriminelle Verschwörung zu vereiteln.«
    Die Verschwörung selbst, wenigstens in Sellars’ eiliger und gedrängter Darstellung, hatte sie völlig perplex gemacht. Und außer der Tatsache, daß er irgendein militärischer Sicherheitsspezialist war, hatte sie auch die Rolle des Majors in dieser winzigen Widerstandsbewegung nicht recht verstanden. Zu allem Überfluß hatte er noch am Rande erwähnt, daß seine Frau und sein

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