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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Kind in einem Motel in der Nähe warteten. Sie war sich zudem nicht ganz darüber im klaren, wie tief Ramsey in der Sache steckte, ob er bei seinem ersten Gespräch mit ihr von alledem schon etwas gewußt hatte, aber die schlichte Tatsache, daß sie endlich über einiges Aufschluß bekam und nicht nur mitfühlende Blicke, hatte die noch verbleibende Verwirrung mehr als wettgemacht.
    In einer knurrigen, aber umsichtigen Art, die sie an ihren lang verstorbenen Vater erinnerte, hatte Sorensen die paar Gegenstände inspiziert, die sie auf die Insel mitzunehmen gedachte, und noch ein Stück hinzugefügt, einen kleinen silbernen Ring mit einem einzelnen kristallklaren Stein. Bei diesem handele es sich nicht um einen Edelstein, hatte er ihr erläutert, sondern um eine Linse, hinter der ein winziger Transponder versteckt war. Es sei ein Kameraring.
    »Damit werden wir sehen, was du siehst, Frau Pirofsky«, hatte Sellars hinzugefügt.
    Nach dem wochenlangen Schmoren im eigenen Saft und der freiwilligen Verbannung in eine Einsamkeit, die noch drückender geworden war, als die Stimmen der Kinder sie verlassen hatten, wäre Olga liebend gern länger in der freundlichen Gesellschaft von Ramsey und den anderen geblieben, aber Sellars hatte ihr klargemacht, daß die Zeit knapp war. Auf seine sanfte Art hatte er sie gedrängt, so rasch wie möglich zur Tat zu schreiten, und da er versprochen hatte, ihr mit seinen nicht näher beschriebenen Fähigkeiten die Möglichkeit zu verschaffen, legal auf die Insel zu kommen, hatte sie keine Einwände gehabt.
    Und er hatte Wort gehalten.
     
    Sobald sie zusammen mit allen anderen auf dem Vorderdeck des Hovercrafts war, in der heißen, schwülen Brise, verbot Olga sich nicht länger, den schwarzen Turm anzuschauen. Vom Festland aus hatte er ein wenig wie eine mittelalterliche Kathedrale ausgesehen, himmelwärts über die erdnäheren Wohnstätten der Menschen hinausragend, doch je gewaltiger er den gestreiften Sonnenuntergangshimmel ausfüllte, um so mehr kam er ihr wie der Berg in ihren Träumen vor, ein unheimlicher Monolith aus schwarzem Stein, die Fassade stellenweise im modernistischen Stil verzogen und gewellt und so voller Riefen wie Sellars’ verbranntes Gesicht.
    Mir ist, als würde er seit langem auf mich warten – mein ganzes Leben schon. Aber wie kann das sein, wenn ich die Stimmen doch vor wenigen Wochen zum erstenmal gehört habe? Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, daß sie unmittelbar vor einer lang ersehnten Offenbarung stand.
    Es ist so, wie ich neulich schon dachte, wie eine religiöse Bekehrung, eine urplötzliche Glaubensgewißheit. Man weiß einfach, man ist sich fraglos sicher, es spielt gar keine Rolle, wie oder warum oder was andere sagen.
    Doch die meisten Religionen versprachen einem Erlösung. Etwas derart Hoffnungsvolles hatte sie von dem schwarzen Turm nicht zu erwarten.
    Sie legten bei einem anderen riesigen Lagergebäude in solcher Nähe des Turmes an, daß der halbe Himmel schwarz war. Die schiere Höhe allein war es nicht, was sie überwältigte – obwohl er bestimmt mindestens dreihundert Meter hoch war –, sondern seine Massigkeit, mit der er alles beherrschte. Sein Anblick von ferne oder durch den Bayounebel hatte sie nicht auf diese erschlagende Wirkung vorbereitet.
    Das ist kein Bürohochhaus, das ist eine Festung, erkannte sie. Wer den gebaut hat, hat Krieg geführt oder geplant. Vielleicht nicht gegen Armeen, aber gegen irgend etwas.
    Erinnerungen an die alten Bauten wurden wach, die sie und ihre Zirkustruppe beim Tingeln quer durch Europa gesehen und die ihren Vater zu so manchem Vortrag inspiriert hatten – die Hinterlassenschaften dieses oder jenes großmächtigen Regimes, ob kommunistisch oder faschistisch, maßlos kapitalistisch oder unverhohlen imperial. Auch diese Bauwerke damals hatten vor Wichtigkeit gestrotzt, aber alle hatten sie noch etwas anderes gehabt, eine Dimension von Öffentlichkeit, die diesem Konzernturm hier fehlte. Das einzige auch nur annähernd Vergleichbare, das ihr einfiel, waren, wenn man vom Größenunterschied absah, die mittelalterlichen Geschlechtertürme in Italien, befestigte Inseln inmitten der Städte, zur Verteidigung gebaut, nicht zum Prunk.
    Ich habe noch nie ein milliardenschweres Hochhaus gesehen, das so deutlich »Geh weg!« ausgedrückt hat, dachte sie. Und ich ignoriere diese Warnung. Genausogut könnte ich fröhlich pfeifend an dem Schild vor der Hölle vorbeischlendern, auf dem steht: »Die ihr hier

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