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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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verschnaufte. Zum Glück suhlen sich diese Dreadklone schon so lange in ihrem bestialischen Treiben, daß sie davon fast bewußtlos sind. Er durfte bloß nicht an die vielen Einwohner von Dodge City denken, die ihm und seinen Begleitern mit ihrem Leid diese Chance erkauft hatten.
    Sie hatten jetzt die zweite Straße überquert und standen als zitterndes Häuflein gegenüber der verwüsteten Zeitungsdruckerei in einem Hauseingang. Auf der staubigen Straße lag ein Stapel unförmiger Lappen, die auf den ersten Blick wie Tierhäute aussahen, doch in denen Paul beim zweiten Hinschauen menschliche Überreste erkannte, Bürger, die man durch die Druckerpresse geschoben hatte, bis sie völlig zermalmt und platt waren; auf der ausgewalzten Leiche eines Unglücklichen stand sogar groß und breit »Herzlich willkommen in Dodge City!« gedruckt. Daß Martine plötzlich ein Zeichen gab, still zu sein, war unnötig, denn keiner von ihnen hatte noch den Atem, etwas zu sagen.
    »Da drüben«, keuchte sie schließlich. »Es war nur ganz kurz, aber ich … ich hab’s gespürt.«
    »Was gespürt?« Florimels Stimme war tonlos vor Schock und Erschöpfung.
    »Ein Gateway, glaube ich.«
    T4b raffte sich auf. »Besser als hier ist’s überall, äi.«
    Sie folgten ihr die Front der ausgebrannten Häuser entlang und dann westlich die Walnut Street hinunter. Hinter ihnen wurde der Mozart immer langsamer, wie ein Grammophon, das neu angekurbelt werden mußte. Als sie in die Dunkelheit außerhalb der Stadt hinausstolperten, sah Paul, daß der Mond eben erst über die Gipfel der Berge kam, wie verwirrt von den Katastrophen, die seine vertraute Prärie verändert hatten.
    »Da lang«, stieß Martine hervor.
    Es war so eine Erleichterung, nicht von brennenden Wänden umgeben zu sein, daß Paul die Dunkelheit beinahe wie ein kühles, feuchtes Tuch empfand. Sie stapften am Rand des Sumpfs in nordwestlicher Richtung durch klebrigen, glitschigen Morast, doch der war ihnen tausendmal lieber als das Grauen in ihrem Rücken. Selbst als ein brummendes Etwas von der Größe einer Ratte sich auf Martines Schulter setzte, so daß sie aufkreischte und zu Boden stürzte, änderte das Pauls Meinung nicht. Er schnappte es sich mit der Selbstverständlichkeit eines Menschen, den nichts mehr erschüttern kann, und verdrehte es mit bloßen Händen, bis es zerbrach und schleimend verendete.
    »Da!« japste Florimel, als Paul Martine aufhalf. »Ich glaube, das ist er.«
    Sie deutete auf eine niedrige Erhebung einen knappen halben Kilometer vor ihnen, die im fahlen Mondlicht aussah wie die Schädeldecke eines begrabenen Riesen. Obwohl sie sich vor Erschöpfung kaum mehr auf den Beinen halten konnten, schlugen sie auf dem rutschigen, tückischen Gelände einen Trab an.
    »Fen-fen!« schrie T4b plötzlich erschrocken. Erst dachte Paul, der junge Mann wäre hingefallen, doch als er sich umdrehte, sah er, daß T4b auf einen Schwarm kleiner Feuer starrte, die sich von dem großen Stadtbrand gelöst hatten. »Fackeln«, stöhnte T4b. »Die verfolgen uns, äi.«
    Paul zerrte den Stockenden weiter, und sie eilten den Frauen hinterher. »Schnell!« rief er. »Wir sind entdeckt!«
    Der Boden um den Boot Hill herum war fester und trockener, und sie konnten jetzt schneller laufen. Paul stolperte und sah schon im Sturz die Erde auf sich zuschießen wie eine zuschlagende Riesenhand, doch jetzt war es T4b, der blitzschnell zugriff und ihn wieder hochriß.
    Der Friedhof auf dem Hügel war erstaunlich klein, ungefähr dreißig Holzkreuze und ein paar bescheidene Grabsteine standen auf dem holprigen Gelände verstreut. Es gab mehr Stolpersteine als Grabmäler. Das einzige außer Büffelgras, das Paul über die Taille ging, war eine schlanke Esche mit einer Schlinge, die an einem langen Ast hing – ein Galgenbaum.
    »Wo ist es?« fragte Florimel. »Das Gateway?«
    Martine rotierte langsam hin und her wie eine Radarschüssel, die den Himmel absuchte. »Ich … ich kann es nicht sagen. Es reagiert nicht auf meinen Befehl, und anscheinend ist nichts hier groß genug, um es zu fassen. Ein Grab …?«
    »Wenn ich graben soll, sag’s«, rief T4b, bückte sich und fing an, am erstbesten Grabhügel herumzuscharren wie ein wildgewordener Hund. »Bloß weg hier – egal wie!«
    Die Lichter kamen mit erschreckender Schnelligkeit näher, und Paul konnte schon erkennen, daß es sich bei den Fackelträgern um mindestens ein Dutzend Dreadreiter auf den verunstalteten schwarzen Pferden mit Händen

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