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Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Otherland 4: Meer des silbernen Lichts

Titel: Otherland 4: Meer des silbernen Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Brücke, auch wenn nur noch vereinzelte Schüsse fielen.
    Als sie sich endlich zwangen, aufzustehen und die Uferböschung hinaufzuschleichen, drängten sich die anderen Geräusche der Stadt wieder in den Vordergrund, wilde, kaum mehr menschliche Schreie, inbrünstiges Flehen und wieder das Johlen und teuflische Lachen der Zerstörer und Peiniger. Aber zu Pauls Verwunderung erklang auch Musik, eine Melodie, die ihm bekannt vorkam, etwas Klassisches, geklimpert auf einem billigen Klavier, das immer wieder aus dem Takt kam, so daß es sich anhörte, als ob jemand das Foltern und Massakrieren als festliches Schauspiel inszenieren wollte und sich dazu die unpassendste musikalische Untermalung ausgesucht hätte, die man sich vorstellen konnte.
    Um von den Vorgängen in Dodge City so wenig wie möglich mitzubekommen, führte Paul das Grüpplein trotz Martines warnendem Kopfschütteln weiter nach Westen, mußte jedoch bald feststellen, daß Titus recht gehabt hatte: Bald schon gerieten sie auf sumpfiges Gelände und sanken bis zu den Knien ein.
    Plötzlich verlor Florimel völlig den Boden unter den Füßen. Wenn sie nicht den immer noch leise vor sich hin würgenden und spuckenden T4b unmittelbar hinter sich gehabt hätte, wäre sie im Treibsand untergegangen, bevor Paul oder Martine ihr Fehlen überhaupt bemerkt hätten. Während T4b sie festhielt, fand Martine, die sich trotz ihrer Blindheit im Dunkeln deutlich besser orientieren konnte als die anderen, einen Stock und hielt ihn der Sinkenden hin. Glücklich herausgezogen brach Florimel weinend zusammen.
    »Es geht nicht«, sagte sie. »Ich bin zu schwach. Ich kann ja kaum auf ebener Erde gehen.«
    Paul wandte sich Martine zu. »Okay, du hattest recht, ich habe mich geirrt. Wohin gehen wir jetzt?«
    »Das kann ich nicht sicher sagen, weil meinen Sinnen alles stark verzerrt erscheint, aber der Sumpf grenzt hier unmittelbar an die Stadt. Wir müssen zwischen den Häusern hindurch, wenn wir nicht riskieren wollen, noch einmal in Treibsand zu kommen.«
    Paul schloß die Augen und holte tief Luft. »Na gut. Los geht’s.«
    Vorsichtig begaben sie sich zurück an die Stelle, wo sie aus dem Fluß gestiegen waren. Wieder hatten sie die Front Street vor sich, deren Häuser alle in unverlöschlichen Flammen standen. Etwa vierhundert Meter östlich, zwischen dem Hauptschienenstrang und dem Nebengleis, loderte mitten auf der Straße ein riesiger Scheiterhaufen, und zahllose dunkle Gestalten tanzten und taumelten darum und feierten ein Vernichtungsfest, das anscheinend schon Tage dauerte. Die meisten der vandalischen Zerstörer schienen dort versammelt zu sein, aber trotzdem wankten noch Dutzende andere an dem Ende über die Straße, wo Paul und seine Gefährten sich in den Schatten duckten und verzweifelt auf ein Wunder hofften, das es ihnen ermöglichte, unbeobachtet die breite Straße zu überqueren.
    Zwar standen sämtliche der brennenden Gebäude in der Front Street noch, doch einige der Fassaden waren eingestürzt, so daß sich den entsetzten Blicken der vier das Innere darbot wie ein Museumsdiorama nach dem anderen – und es war ein Museum des Schreckens. In den Saloons tanzten völlig ausgelaugte Frauen mit angesengten Beinen auf brennenden Bühnen und wichen dabei den Flaschen und scharfen Gegenständen aus, die das grölende Publikum nach ihnen warf, lauter replizierte Dreads. Männer baumelten kopfunter mit durchgeschnittener Kehle an Kronleuchtern, ausgeblutet wie Wild, das vor dem Räuchern abhängen muß. Weitere Leichen häuften sich auf den Straßen, wobei einige sogar an Hauswände gelehnt oder auf Bänke gesetzt worden waren und dort grausige Tableaus bildeten. Die torkelnden Dreadmänner schütteten sich mörderisch starken Corn Whiskey aus Krügen in die Kehle und waren zum Teil dermaßen betrunken, daß sie wie Hunde bellend in der Gosse krabbelten oder von Erbrochenem an Mund und Brust besudelt herumtanzten.
    Es ist nicht wirklich, versuchte Paul sich einzuhämmern. Es ist bloß wie was im Netz – nicht mal. Es sind ja nicht mal Schauspieler, bloß Replikanten. Aber es war schwer, das zu glauben, wenn alle Gerüche und Geräusche grauenhaft lebensecht waren und wenn ihm zudem noch klar war, daß die Bestien um ihn herum ihn verletzen oder sogar töten konnten.
    Ein Stück weiter oben rollte einer der Dreads ein Faß in den riesigen Scheiterhaufen und glotzte dann mit offenem Mund, als die Munition darin zu explodieren begann. Sekunden später wurde der

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